Fragen an die „brutale Zielstrebigkeit“
LITERATURFEST SALZBURG / BÄRFUSS / LUSTIGER
20/05/16 „Wem etwas an der Zukunft liegt, der soll den Leuten erklären, dass es eine Zukunft gibt.“ Mit diesem Satz beschließt Lukas Bärfuss am Donnerstag (19.5.) seine Lesung im lehmfarbenen Gewölbe der „Kavernen 1595". Dem Eingebettetsein in den Bauch des Mönchsbergs - vorübergehenden Schutz versprechend - treten aufrührende, äußerst gegenwärtige Themen mitunter energisch entgegen.
Von Ines Hickmann
Es geht um Gegenwart, um Vergangenheit und um Zukunft, genauer – um ein aufgeklärtes Verständnis derselben: „Für einen aufgeklärten Menschen ist die Vergangenheit vollkommen determiniert. Was geschehen ist, lässt sich nicht mehr ändern. Die Zukunft hingegen ist vollständig undeterminiert. Nichts steht geschrieben. Sie liegt offen in den Händen der Zeitgenossen. Mit allen Chancen und Risiken.“
Die Aufklärung beschwörend und Kant zitierend, plädiert der Schweizer Dramatiker, Romancier und Essayist Lukas Bärfuss für den Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Denn genau dieser Ausgang, diese Bewegung sei die grundsätzliche Methode.
Beherzt spricht Bärfuss über das notwendige Bewusstsein der eigenen Wirksamkeit, über die Kohäsion der Gesellschaft, die es brauche, um der Demoralisierung entgegenzuwirken. Spricht sich aus für verantwortliches Handeln, für das bewusste Gestalten einer tatsächlich und offensichtlich offenen Zukunft.
Der zweite Gast am Donnerstagabend (19.5.) beim Literaturfest ist die in Paris lebende deutsche Schriftstellerin Gila Lustiger. In ihrem Essay „Erschütterung“, der von den Terroranschlägen von 2015 in Paris ausgeht, befasst sich Lustiger unter anderem mit den unmittelbaren Reaktionen auf den Terror.
Diese wählt als persönliche Strategie der Bewältigung das Abtauchen in mediale Informationen zu den Ereignissen. Ein nahe liegendes, sehr leicht realisierbares Verhalten, das sie mit „Wissen ist Macht“ rechtzufertigen versucht. Wohl wissend, dass es sich bei so unmittelbar auf Ereignisse folgenden Nachrichten erst einmal um Spekulationen handeln könne.
Von medialer Besessenheit ist die Rede, von Ablenkung und – weiter führend – vom Versuch, „der eigenen Erschütterung mit präzisen Fakten Herr zu werden“. Unablässig stellt Gila Lustiger Fragen: an die „brutale Zielstrebigkeit“ der Attentäter, an deren seelischen Verfassung. Versucht sich einen Zugang zu deren Gedanken zu erschreiben. Wagt sich gedanklich sogar bis an deren Rausch heran.
Extremismus und Gewalt wiederum mit Extremismus und Gewalt zu begegnen, sei der falsche Weg, ist man sich einig. Wenn es darum geht, zu verstehen, konkret, die oben thematisierte Verführbarkeit durch Gewalt zu begreifen, sei es notwendig, zu begreifen, dass das auch wir sind, es aus unserer Mitte kommt, sagt Lukas Bärfuss. Die Gleichsetzung der Gewalt mit „den anderen“, was auch eine Ausblendung unserer eigenen Geschichte impliziert, würde den Extremisten in die Hände spielen.
Um Dinge zu verstehen, müsse man sie „in die eigene Sphäre zurückholen“ – wobei momentan genau das Gegenteil der Fall sei. Und man brauche Zeit. Gerade angesichts fundamentaler Widersprüche, in die auch wir verstrickt sind, müsse man die Zeit einfordern, die notwendig ist, um wirklich gute, politische Entscheidungen treffen zu können.
Anknüpfend an den verantwortungsvollen Umgang mit der Zukunft geht es im weiteren Gespräch schließlich um Begriffe, und zwar um „die grundlegenden Begriffe“, wie Bärfuss sie nennt, nämlich „Freiheit, Entwicklung, Wachstum, Fortschritt und Bildung“. Begriffe, an die eine freiheitliche Gesellschaft mit ganzem Herzen glauben würde, die unser Zusammenleben ordnen, die eine zeitliche Dimension implizieren und die ohne diese Dimension jegliche Bedeutung verlieren würden.
In der gegenwärtigen Krise der Zukunft seien freilich auch diese Begriffe nicht mehr sicher: „Die Begriffe sind unsicher geworden. Man hört und liest zwar viel, aber man weiß selten mehr, was sie bedeuten. Man spricht so selbstverständlich von Freiheit, vom Fremden, von Krieg, als spräche man über Brotsorten.“
Lukas Bärfuss zeigt den Zusammenhang zwischen einem Verständnis über die Gestalt der Zeit und einem für Begriffe mit zeitlicher Dimension. Er spricht über die Disposition dieser Begriffe und die damit eingehende Verwirrung und leitet über zum Widerspruch des Kapitalismus und den damit einhergehenden Krisen.
Mit dem von Günter Kaindlstorfer geforderten „positiven Blick in die Zukunft“ attestiert Gila Lustiger eine aus den Fugen geratene Welt, die es gilt, jeden einzelnen Tag erneut ein Stück weit zurechtzurücken.
Und zuletzt lenkt Lukas Bärfuss den Blick weg von uns hin auf die Unsichtbaren und plädiert für eine Ansprache an die, die schon gestorben und vor allem auch an die, die noch nicht geboren sind. Diese Kommunikation mit den Abwesenden ermögliche uns erst, Zeuge zu sein für eine Erfahrung, die nur wir machen, löse uns aus einer vollkommenen Fixiertheit auf die Gegenwart, denn: „Es werden andere kommen und andere Zeiten und denen haben wir auch etwas zu geben.“