Klangteppich und Reibeisenstimme
RAURISER LITERATURTAGE / LESUNG REICHART, LAHER, HACKL
04/04/16 Mit ernstem Blick nimmt Elisabeth Reichart Platz. Nach der Vorstellung, bei der die Autorin auch ihr Lächeln präsentiert, werden die Zuhörerinnen und Zuhörer durch ihre rauchig-tiefe Reibestimme in die graue Welt des Romans „Die Voest-Kinder“ versetzt. Wörter wie „Nazi“ bleiben in der Kinderperspektive inhaltsleer. Erst nach Jahren füllt die Ausprägung eines kollektiven Gedächtnisses diese Hüllen.
Von Michael Burgholzer und Andreas Grabner
Elisabeth Reichart, Ludwig Laher und Erich Hackl fanden sich am Freitag (1.4.) zu Lesungen und gemeinsamen Gespräch in Rauris ein. Die Themen auch dieses Abends standen unter dem zentralen Stern des Titels der Literaturtage „Geschichte. Erzählen“.
Zuvor: Großes Warten vor dem Gasthof „Grimming“. Auch im „Platzwirt“ füllt sich der Saal, in dem die Live-Übertragung zu sehen sein wird. Die Schlange wächst auf die Straße. Und das zwei Stunden vor Beginn. Wie durch ein Nadelöhr schlängelt sich die Menge durch die Eingangstüre in das Wirtshaus. Eine Kellnerin schreit drinnen bereits „CAPPUCCINOOOOO“ über die Tische. Hackbrett und Gitarre werfen einen lauter und leiser werdenden Klangteppich über das Publikum und läuten den Beginn des literarischen Abends ein. Danach Stille im Saal.
In der länger als angekündigt dauernden Pause nach der Lesung von Elisabeth Reichart zieht der Zigarettendampf durch die Tür herein und belässt die Literaturliebhaberinnen und Literaturliebhaber in einer immer dicker werdenden Luft. Nebelschwaden, die erst wieder von Ludwig Laher mit einer kräftigen Stimme durchbrochen werden.
Seine mit Nachdruck gesprochenen „Rs“ erinnern an die Härte der unbarmherzigen Struktur des Nationalsozialismus in seinem Roman „Bitter“. Mit einer fast grausamen Sachlichkeit beschreibt er den Werdegang des NS-Täters und dessen erschreckend schnelle Rehabilitierung im Nachkriegsösterreich.
Im folgenden gemeinsamen Gespräch mit Erich Hackl wird das Motto der diesjährigen Rauriser Literaturtage von wiederum verschiedenen Blickwinkeln aus präsentiert. Unterschiedliche Meinungen zum Verhältnis von Kunst und Geschichte, von Literatur und Geschichte, werden in einem „Nebeneinandersprechen“ verdeutlicht.
„Literatur überschreitet Dokumentarisches“, meint Reichart. Es ergäben sich in der Literatur mehr Freiheiten als in der Geschichtswissenschaft. Ein Grund für sie, den Werdegang als Autorin einzuschlagen.
„Ich muss Menschen gerecht werden - nicht literarischen Figuren.“ Das sagt Erich Hackl über seine Texte, in denen Einzelschicksale dokumentiert werden. Später verkürzt er mit einem Blick auf die Uhr seine Lesung. „Ich bewundere das Publikum, dass Sie noch da sind. Wahrscheinlich nur, weil sie sich gegenseitig beim Aufstehen behindern würden.“ Viele Blicke gehen bereits ins Leere, doch so mancher ist von der Kürze seines Vortrags enttäuscht.
Die musikalische Decke des Hackbretts und der Gitarre senkt sich über den dennoch harmonisch ausklingenden Abend.