Spiele für mich – das geht schon
REPUBLIC / BIRGIT MINICHMAYR
04/12/15 Sie habe „nur einen Ton gehabt“, so Elfriede Jelinek über Paula Wessely, eines ihrer übermächtigsten Feindbilder auf dem weiten Feld der darstellenden Kunst. „Besonders missfallen hat mir ihr prononciertes Natürlichsein (…), es war eine Art Natürlichkeitsschleim, den sie über ihr Spielen breitete.“
Von Reinhard Kriechbaum
Auf der Website der Elfriede Jelinek findet sich dies und noch anderes über die Schauspielerin, die sich willig hat einbinden lassen in die „Ablenkungs- und Propagandaindustrie“, auf die sich das Dritte Reich so gut verstand. „Und Wesselys Mitwirkung daran ohne Not und an einer dermaßen exponierten Stelle würde ich mit Kriegsverbrechen gleichsetzen.“ O-Ton Jelinek. „Die Erlkönigin“, der sich derzeit Birgit Minichmayr annimmt, ist die literarische Abrechnung mit der Schauspielerin, die dann in Heimatfilmen hat weitermachen dürfen mit dem „Natürlichkeitsschleim“.
In der „Erlkönigin“ geht es freilich um viel mehr: um die Wechselwirkung von Macht und Schauspielerei, um die Macht aufs Publikum, aber auch um dessen Wirkkräfte in Richtung Bühne. „Ride Pagliacci“, so einfach sind die Dinge ja nicht.
Diese vielen Ambivalenzen beschäftigen Birgit Minichmayr, die in dieser Lesung mit Musik eben nicht nur ein gutes Stück Jelinek aufarbeitet, sondern sich damit auch an ihrem eigenen Verständnis des Berufs Schauspielerin abarbeitet. Das mag in der Beurteilung nun ein wenig übers Ziel hinaus schießen, aber: Den Eindruck hoher Authentizität, den Birgit Minichmayr da erreicht, ist auch der latent selbst-reflexiven, engagierten Art des Umgangs mit diesem Text geschuldet, den Birgit Minichmayr nicht „liest“, sonder verinnerlicht hat.
Macht also. „Die Macht braucht Abstand, nicht Kontrolle“, heißt es einmal. Und als Schauspielerin, so legt die Jelinek der Wesseli in den Mund, sei sie „mit Macht über Menschen ausgestattet“ gewesen, „die nicht einmal sich selbst mächtig waren“.
Jeder gesprochene Satz eine Doppelbödigkeit – Schubert gehört da fast zwingend dazu. Er ist einer der Lieblinge der Jelinek. Winterreise, Schwanengesang – mit einer Auswahl von „Liedern ohne Worte“ haben der Cellist Matthias Bartolomey und Clemens Zeilinger am Klavier auf den gelesenen Text reagiert. Das sind natürlich, weil die Liedinhalte ja latent mitschwingen im Zuhörer, stets auch Kommentare, nie bloße Illustration oder Stimmungsmalerei. „Wie die Dame führt“, lässt die Jelinek Paula Wessely ausholen – und gleich drauf Schubert: „Krähe, wunderliches Tier“!
Das ist also deutlich mehr als Kolorieren mit Musik, und auch das macht viel aus vom Reiz dieser anderthalb Stunden der Selbstreflexion über die Schauspielerei als Machtausübung: „Auch das Unterspielen muss man gewaltig machen, wie alles andere“, aber das kostet Kraft und braucht genaue Selbsteinschätzung: „Wie kompliziert muss man sein, um Komplizin des Volkes zu werden?“ Das sind die Passagen, wo Birgit Minichmayr auftrumpft mit Färbungen: Paula Wessely hatte, wie Jelinek es formuliert, das Volk ob ihrer Volkstümlichkeit hinter sich, „weil ich einfach gewesen bin wie sie“.
Das imaginäre Setting der „Erlkönigin“: Paula Wesselys Sarg wird, alter Tradition gemäß, drei mal ums Burgtheater getragen. Als Untote meldet sie sich zu Wort, und setzt immer wieder an zur egomanischen Selbstinszenierung, die alles andere spiegelt als Einsicht: „Brot für alle – das geht nicht. Spiele für mich – das geht schon.“