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Ein Gedicht ist keine Datei

SALZBURGER BUCHWOCHE / TRAKL-FORUM

21/11/11 Leben und Werk eines Dichters gleichzusetzen, ist nicht immer der beste Zugang. Das so eine „identifikatorische“ Lektüre nicht ins Sentimentalische und Kitschige abgleiten muss, sondern vielmehr inspirierten Anreiz zur Wiederentdeckung des Dichters gibt, zeigte am Freitag (18.11.) der Abend „Der Wahrheit nachsinnen. Franz Fühmann auf den Spuren Georg Trakl" mit Klaus Gmeiner und Leo Braune.

Von Magdalena Stieb

Franz Fühmann (1922-1984), seines Zeichens vielfältig produktiver Autor und Essayist in der ehemaligen DDR, sei mit großem Neid erfüllt gewesen, als ihm Klaus Gmeiner, der als Regisseur des Salzburger Straßentheaters und ehemaliger Leiter der Literatur- und Hörspielabteilung des ORF Salzburg das Konzept des Abends erstellte, vor vielen Jahren in Rauris erzählte, dass er in der Stadt Salzburg lebe: in der Stadt Georg Trakls. Inwieweit dieser Salzburger Autor Fühmanns Leben und Schaffen als Schriftsteller prägte, ließ die Collage von Erinnerungen, Eindrücken und einzelnen Gedichten Trakls die Zuhörer verstehen – und zog sie mit großer Eindrücklichkeit in den Bann der Trakl’schen Lyrik.

Dass es sich bei Georg Trakl (1887-1914) um einen Sonderfall der Forschung und Rezeption handelt, ist nicht nur seiner düsteren, melancholisch-gedämpften und in der Bildhaftigkeit kaum zugänglichen Lyrik, sondern ebenso seiner Biographie zu verdanken. Die Lebensweise Trakls ist geprägt von rauschhaften Exzessen, Depression und Angst. Auch Fühmann fühlte in einer Nacht der intensiven Auseinandersetzung dessen angstvollen Zuständen in einer „Biographie eines nicht lebbaren Lebens“ nach. Sein Zugang  scheint der Erkenntnis neue Geltung zu geben, dass es durchaus reiz- und sinnvoll sein kann, Biographie und Dichtung einer Autors gleichzusetzen - bei aller Problematik einer solchen persönlichen, gefühlsmäßigen Lektüre. So ist zwar die Biographie eines Dichters kein Codewort für die verschlossene „Datei“ seiner Dichtung, doch verdichtet sich die Leseerfahrung unter der Kenntnis von Trakls Leben. Die Maxime „du sollst dir kein Bild machen“  wird in ihre Schranken gewiesen.

Doch nicht nur das Erlebnis von Offenbarung und Traum, einer „fremden Vertrautheit“ mit Trakls Biographie – nicht zuletzt hervorgerufen durch eine Bekanntschaft zwischen Fühmanns Vater und dem seltsamen „Schorschi“ – prägt Fühmanns Begegnung mit dem Dichter. Trakl eröffnet Fühmann einerseits ein Tor zur eigenen Erinnerung, so auch an den Tag, als er das letzte Mal seinen Vater sah und dieser von Georg Trakl berichtete. Andererseits gelingt es ihm, mit den Gedichten jene Bruchstücke seines persönlichen Erlebens zu verarbeiten, wenn etwa die „weißen Weiher“ in Untergang mit den weißen Gesichtern der Kameraden im Zweiten Weltkrieg zu verschmelzen drohen.

Diese Weiterführung der Bildfelder Trakls, die Fühmann bis zu einem Besuch in Salzburg führt und im Erkennen der Trakl’schen Farben der Stadt kulminiert, stellt neben der Problematik von Dichtung und Biographie des Dichters nur eine weitere Ebene der Lektüre des Schriftstellers dar. Fühmann trug also nicht nur wesentlich zur Verbreitung der Gedichte Trakls in der DDR bei, wie etwa mit einer Auswahlausgabe im Reclam Verlag, sondern stößt mittels seiner eigenen Lektüre den Leser bzw. Zuhörer an neue Möglichkeiten der Interpretation von Trakls Werk.

Die vielen möglichen Ebenen der Lektüre von Trakls Gedichten wurden an dem vom Internationalen Trakl-Forum veranstalteten und vom Leiter der Georg-Trakl-Forschungs- und Gedenkstätte in Salzburg, Hans Weichselbaum, eingeleiteten Abend durch Leo Braune (Salzburger Straßentheater) auf besonders eindrückliche Weise zum Erklingen gebracht.

Die von Fühmann nachgefühlten, in den Gedichten Trakls angelegten Synästhesien gelangten in dem sanft-expressiven Vortrag des Schauspielers zur vollen Geltung. So bewirkte die gelungene Mischung aus kunstvoller Lesung und von Fühmann noch posthum vermittelter Begeisterung für den Salzburger Dichter mit Sicherheit Anregung zum Wieder-Lesen – eine neue, gelungen präsentierte Möglichkeit des Eindringens in die scheinbar hermetische und seltsam berührende Lyrik Georg Trakls.

 

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