Kein Club der toten Dichter
ARGE / POETRY SLAM / OPEN MIND FFESTIVAL
22/11/10 Der ORF sucht noch seine Helden von morgen. In der ARGEkultur zeigten beim Poetry Slam „Poetry – Dead or Alive?“ schon die Helden von heute ihr Können. Ein Abend voller Sprachkunst, Vielfalt und Atemlosigkeit.
Von Nina Ainz
In der Hand hält sie nur ein Klemmbrett mit ihrem Manuskript, fertig gelesene Blätter lässt sie einfach auf den Boden gleiten: Im Saal ist es andächtig still, als Mieze Medusa ihren Text „Mieze, es isch Zeit“ vorträgt. Die Poetin sich als Verfolgte in einem Österreich wieder, in dem „der Mann mit der Parteifarbe in den Augen“ an die Macht gekommen ist: Mit klaren Worten schildert Mieze Medusa ihre fiktive Flucht nach China, wie sie auf Arbeitssuche in der Prostitution landet, ihre Aufenthaltsgenehmigung verliert und schließlich mit zugeklebtem Mund nur noch hofft, dass ihr Atem für den Rückflug nach Österreich reicht. Auf ihr gehauchtes „Danke schön!“ folgt frenetischer Applaus.
Während Lyrikbände selbst in gut sortierten Buchhandlungen immer weniger Platz einnehmen, feiert die Dichtkunst bei Poetry Slams ein wortgewaltiges Comeback. Bei den modernen Dichterwettkämpfen treten die Poetinnen und Poeten mit eigenen Texten gegeneinander an, am Ende wählt das Publikum den Sieger des Abends. Seit dem Frühjahr 2009 hat auch Salzburg seine monatlichen Poetry Slams in der ARGEkultur. Wer schon öfter vergeblich an der Abendkasse auf Karten gewartet hat, weiß: Die Slams der letzten Monate waren stets restlos ausverkauft.
Auch die Reihen des ersten Salzburger „Poetry – Dead or Alive?“-Slams, der im Rahmen des diesjährigen Open Mind Festivals stattfand, waren vollbesetzt. Bei dieser besonderen Form des Poetry Slams treten vier lebende Slam Poets gegen vier tote Dichter an. Die toten Dichter bekommen dabei Unterstützung von Schauspielern, die den verblichenen Kollegen im Diesseits ihre Körper und Stimmen leihen. Motto des Festivals und somit auch des Slams war „Freiheit und Flucht“, ein Thema, das von den Slam Poeten ganz unterschiedlich aufgegriffen wurde. Inszeniert hat Arturas Valudskis.
Die lebenden ließen die toten Dichter an diesem Abend i etwas blass aussehen, und dies war nicht nur durch die weiß geschminkten Gesichter der Schauspieler bedingt. Trotz beeindruckender Darstellungen von Barbara Macheiner als Daniil Charms, Max Pfnür als Nikolai Wassiljewitsch Gogol, Magdalena Klein als Aglaja Veteranyi und Benedikt Vyplel als Franz Kafka konnten sich die Schauspieler nicht gegen die Slam Poeten behaupten. Zu künstlich und tot wirkten die Dichter aus dem Jenseits im Vergleich zu ihren wortgewandten Kollegen.
Der Poetry Slammer Ken Yamamoto aus Mainz beschwörte in seinem „Jailhouse Blues“ den Gefängnisalltag herauf. Letztlich sind wir auch immer Gefangene unserer selbst, so sein Resumée, immer wartend „auf den Moment auszubrechen“. Etwas leichtherziger war der Auftritt des Berliners Frank Klötgen. Sein humorvoller Beitrag „Das verschissene Grün dieser Wiese, Louise“ oder „Die Niederkunft der Mücken“ sorgte für große Erheiterung im Publikum.
Den Sieg trug schließlich Nesthäkchen Laurin Buser davon. Der 19-jährige Schweizer konnte sowohl die Jury als auch das Publikum mit seiner charmanten Darbietung überzeugen. Schon sein erster Text „Der eigene Rhythmus“, der die Reizüberflutung in Facebook-Zeiten zum Thema hat, kam bei Jury und Publikum sehr gut an. Im Finale musste er sich schließlich gegen Magdalena Klein alias Aglaja Veteranyi behaupten, konnte diese aber mit seinem „Märchen“ über einen jungen Mann, seine Freundin und deren Mutter abermals ausstechen. Buser hatte somit doppelten Grund zur Freude: Erst vergangene Woche erdichtete er sich den ersten Platz der unter 20-Jährigen bei der Poetry Slam Meisterschaft im Ruhrpott. Somit steht eines fest: Die Helden von heute müssen wir morgen nicht mehr suchen.