Zwischen Fakt und Fiktion
HINTERGRUND / STEFAN ZWEIG POETIKVORLESUNG
03/05/23 Anna Kim – geboren 1977 in Südkorea, aufgewachsen in Deutschland – lebt in Wien. Ihre Romane Anatomie einer Nacht 2012 und Die große Heimkehr 2017 und Geschichte eines Kindes 2022 erschienen bei Suhrkamp. Nun komm Anna Kim als Dozentin der 14. Stefan Zweig Poetikvorlesung nach Salzburg.
Von Heidemarie Klabacher
Danny wurde 1953 in einer amerikanischen Kleinstadt geboren und zur Adoption frei gegeben. Das Baby ist „auffallend“ dunkelhäutig und die Mutter gibt den Namen des Vaters nicht preis. Eine aus Wien stammende Sozialarbeiterin macht sich auf die Suche nach der väterlichen Seite der Abstammung – indianisch, polnisch, negrid – des Kindes. Haarsträubend klingende Akten werden zitiert. Eine Autorin unserer Gegenwart, fiktiv, aber Anna Kim ähnlich, macht als Writer in Residence in besagter Kleinstadt die Bekanntschaft von Dannys Ehefrau. Und die Leute kommen und erzählen... „Anna Kim legt einen schmalen, aber gewichtigen Roman zum Thema Rassismus vor“, hieß es vergangenen September im Falter. Da stand der Roman auf der Shortlist zum wenige Monate später vergebenen Österreichischen Buchpreis 2022.
Anna Kim ist die Dozentin der 14. Stefan Zweig Poetikvorlesung, die gemeinsam von Literaturforum Leselame, Fachbereich Germanistik und Stefan Zweig Zentrum veranstaltet wird. „Ausgehend von ihren Romanen wird Anna Kim über das Verhältnis der Literatur zur Wahrheit sprechen“, meldet das Literaturforum Leselampe. „Was diese drei Romane gemeinsam haben, ist, dass sie auf wahren Begebenheiten basieren: Der Suizid eines achtjährigen Buben in Ostgrönland stand am Anfang von Anatomie einer Nacht, das nie aufgeklärte Verschwinden einer japanisch-koreanischen Jugendlichen aus ihrer Heimatstadt Kobe 1961 am Anfang von Die große Heimkehr. Und ohne die Adoptionsakte des 'wahren' Danny Truttmann hätte es Geschichte eines Kindes nie gegeben.“ Aus dem Roman liest Anna Kim am 3. Mai im Stefan Zweig Zentrum.
Die Vorlesungen im Unipark sind ebenfalls öffentlich zugänglich: Der erste Teil galt Fragen zum Thema Recherche, wie sich etwa literarische von wissenschaftlicher oder journalistischer Recherche unterscheidet oder wie man Quellen identifiziert. Kim wird aber auch davon berichten, „an welche Grenzen sie bei ihrer Recherche gestoßen ist, und wann und warum sie sich entschlossen hat, diese Grenzen zu überschreiten“. Weiters wird Anna Kim über das „Einarbeiten von Fakten in das fiktive Gewebe eines Romans sprechen“. Thema sind aber auch Fragen der Strukturierung oder des Umgangs mit den Fakten im fiktiven Kontext. Im Zentrum der dritten Vorlesung stehen Fragen nach der künstlerischen Freiheit: „Wie kann, soll man mit historischen Dokumenten umgehen? Wie steht es mit historischem Vokabular, das heutzutage außerordentlich verletzend ist? Immerhin durchleuchtet Anna Kim „die so wirkmächtige wie fatale Idee von Rasse“.
Stefan Zweig Poetikvorlesung Anna Kim – öffentliche Vorlesungen am Donnerstag (4.5.) und Freitag (5.5.) jeweils 17 bis 19 Uhr im Unipark Nonntal – Lesung heute Mittwoch (3.5.) um 19.30 im Europasaal der Edmunsburg – www.leselampe-salz.at
Bild: Suhrkamp Verlag / Werner Geiger