Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten
RAURISER LITERATURTAGE / RAURIS UNIVERSITÄT
04/04/22 Germanistik-Studierende der Universitäten Graz, Innsbruck und Klagenfurt diskutierten mit Emily Artmann, Olga Flor und Alois Hotschnig über deren neue Werke.
Von Jana Frauscher
Emily Artmann greift in ihrem eindrucksvollen Gedichtband In einem Mantel aus Fischhaut das zentrale Motiv des Menschseins auf. Auf die Frage der Studierenden nach dem Schreibprozess verriet die Tochter des berühmten österreichischen Lyrikers H. C. Artmann, dass sie sich stets auf die Suche nach Bildern gemacht habe und diese entsprechend in einen Text umzuwandeln versuchte. „Fatalische“ Motive kamen dabei ebenso stark zum Tragen wie biblische, wobei die Autorin erklärte dass sie sich sehr für Religionen interessiere und ihre Gedichte stark von Offenheit geprägt seien. Sehr sympathisch erschien uns die Aussage, dass sie mit ihren Gedichten nicht den Anspruch verfolge, immer verstanden zu werden. Das Ziel von Lyrik sieht Emily Artmann vielmehr darin, „Menschen zu berühren und in jedem ein anderes Bild entstehen zu lassen“.
Im Anschluss an unser Gespräch mit Emily Artmann durften wir ein das Gespräch zwischenden Germanistik-Studierenden der Universität Graz und der Autorin Olga Flor mitverfolgen. Das Gespräch wurde vorab aufgezeichnet, da die Autorin nicht anreisen konnte. Morituri heißt der aktuelle Roman der Schriftstellerin Olga Flor, die darin den Umgang der Menschen mit Lebensräumen von Tieren kritisch beleuchtet. Im Zentrum steht die Frage nach der Endlichkeit der menschlichen Existenz und der Versuch, diese Existenz durch neuartige Technologien zu verändern. Hoch aktuell erscheint der Roman nicht zuletzt deshalb, weil Olga Flor darin zentrale Motive wie die Sehnsucht nach Natur, die gleichsam wiederum durch uns Menschen zerstört wird. Aktuell auch die Frage nach der Nutzbringung, die sich in der planmäßigen Ansiedlung einer Klinik in einem naturbelassenen Moor widerspiegelt... Dabei zieht die Autorin eine Parallele zur umstrittenen Verbauung von wertvollem begrenzt vorhandenem Boden. Gleichzeitig ist es Olga Flor gelungen, patriarchale Strukturen in unserer Gesellschaft kritisch zu hinterfragen und die Grenzen der Karrieremöglichkeiten für Frauen aufzuzeigen.
Den Schluss bildete das Gespräch der Innsbrucker Studierendengruppe mit dem Autor Alois Hotschnig zu dessen Werk Der Silberfuchs meiner Mutter. Der aus Kärnten stammende Autor arbeitet in seinem Roman die Geschichte des Schauspielers Heinz Fitz auf, der als Kind in die die Hände der rassistischen Organisation „Lebensborn“ geraten war. Als besondere Leistung des Romans kann dabei die Konstruktion einer fiktiven Geschichte auf Basis realer Begebenheiten betrachtet werden. Nach dem Motto: „Du kannst mit mir machen, was du willst“, habe Heinz Fitz seine individuellen Erinnerungen mit Alois Hotschnig geteilt, der sich mit der Frage nach der Wahrheit in den Aussagen des Zeitzeugens intensiv beschäftigt hat.
Im Fokus standen dabei Fragen wie „Wie viel Prozent Dichtung, wie viel Prozent Wahrheit?“ Der Autor betonte während des Gesprächs sein Anliegen, keine Lebensborn-Geschichte zu schreiben, „die so ist, wie frühere Lebensborn-Geschichten“. Vielmehr sei es seine Absicht gewesen, Möglichkeiten zur eigenen Wiederfindung in der Geschichte zu schaffen.
Da der nächste Programmpunkt erst für 17 Uhr angesetzt war, nutzten wir die Zeit für eine sogenannte „Störlesung“ in unserem Apartment im Platzwirt gegenüber des Mesnerhauses. „Störlesungen“ waren vor der Corona-Pandemie fixer Bestandteil der Rauriser Literaturtage, in deren Rahmen Autorinnen und Autoren verschiedene Haushalte im Ort Rauris besucht und aus ihren Büchern vorgelesen haben. Nach diesem Vorbild organisierte unser Kollege Andreas Hepp eine kleine Lesung zu seinem ersten, vor kurzem erschienenen Buch „Freitag ist ein guter Tag zum Flüchten“. Darin erzählt der Nachwuchsautor die Geschichte seines Freundes Elyas Jamalzadeh, der sich 2014 auf die gefährliche Flucht nach Österreich begab. Die Rauriser Literaturtage boten jungen Schreibtalenten wie Andreas Hepp die einzigartige Gelegenheit, mit Autorinnen und Experten Gespräch zu kommen und sich zu vernetzen.
Für DrehPunktKultur berichten Studentinnen und Studenten von Dr. Uta Degner im Rahmen der Lehrveranstaltung „Literaturbetrieb und literarisches Leben in Österreich (Rauriser Literaturtage 2022)“ am Fachbereich Germanistik von den Rauriser Literaturtagen
Einzelne Veranstaltungen bleiben auf der Website noch vier Wochen lang verfügbar
Die 52. Rauriser Literaturtage steigen von 29. März bis 2. April 2023 - www.rauriser-literaturtage.at
Bilder: www.rauriser-literaturtage.at / David Sailer / www.davidsailer.com
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