Das Gekröse tadellos
LESEPROBE / BRANDHUBER / TUTSCH-BAUER / KRÄUTERKUNST & KNOCHENSÄGE
30/10/15 Päpste darf und durfte man nicht sezieren. Die Salzburger Fürsterzbischöfe schon. Die Leichenöffnungen wurden teils akribisch dokumentiert. Die auf Latein mit der Hand geschriebenen Sektionsprotokolle verstaubten über die Jahrhunderte. Bis Universitätsarchivar Christoph Brandhuber sie wieder entdeckt und Expertinnen und Experten von der Altphilologie bis zur Gerichtsmedizin zur Zusammenarbeit gewonnen hat: Entstanden ist eine umfassende faszinierende Medizingeschichte Salzburgs im Barock. – Hier eine Leseprobe.
Von Christoph Brandhuber und
Edith Tutsch-Bauer
Vincenzo Crosina: Sektionsprotokoll zu Wolf Dietrich von Raitenau (1617)
Der Körper war äußerlich betrachtet ohne Schaden und zeigte sich an Farbe sowie gehörigem Gewicht der Glieder ausgewogen und fett. Unterschenkel und Arme, die jeder für sich mit einzelnen Fontanellen besetzt waren, schienen abgemagert. Bei der Eröffnung des Unterleibes zeigte sich die Haut durch Übermaß an Fett gepolstert. Kein Eiter an Bauchfell oder Netz. Das Gekröse tadellos. Die inneren Organe selbst und die Blase waren eher durch Blähungen, als durch Verdauungsrückstände ausgedehnt, bewahrten aber ihre Lage und Farbe richtig. Der Magen war unglaublich ausgeleert, im Inneren lediglich mit einer klebrigeren Flüssigkeit überzogen. Die Leber groß, gesund. Die Gallenblase mit lauchfarbiger Galle gefüllt. Die Milz in ihrem größeren Teil verhärtet. Eine Niere war mit fünf sehr harten Steinchen verstopft.
In der Brust kam die Lunge mit zähem Schleim gefüllt, zum Teil mit der sie umgebenden Haut verwachsen zum Vorschein; als man sie an dieser Stelle losriss, war die Spur eines vergleichsweise großen Geschwürs zu erblicken. Das Lungengewebe war von dunkelblauen Flecken gekennzeichnet und wie mit Hagelkörnern übersät; der Farbe nach bläulich, eine dunkle Färbung, mit der nach Beobachtung der Anatomen die Lungen getränkt sind, welche an Häuten befestigt gefunden werden. Im Herzbeutel sehr wenig Flüssigkeit ersichtlich. Das Herz groß, an demselben kein Fehler.
Die Todesursache wäre im Kopf zu suchen gewesen, besonders in den Gehirnkammern. Aber damit nicht der Leichenzug mit einem dann notgedrungen verlarvten Toten, wie es einst bei den Römern Brauch war, gegen die Gewohnheit dieses Volkes stattfände, war es kaum angemessen, eine darüber hinausgehende Untersuchung vorzunehmen. Dass sich das Vorstehende im Einzelnen so verhalten hat, erkläre ich öffentlich: Vincenzo Crosina, zur Zeit des hochgeborenen und hochwürdigsten Fürsten und mildreichsten Herrn Leibarzt. Salzburg, am 18. Januar im Jahre des Heils 1617. …
Kommentar zum Sektionsprotokoll
Noch am Todestag, „zur Dämmerstunde der Nacht“, wurde von drei Ärzten die Sektion vorgenommen. Das Protokoll verfasste der Leibarzt des regierenden Fürsterzbischofs, Dr. Vincenzo Crosina. …
Obwohl die Ärzte zu Recht die Todesursache im Gehirn vermuteten, wurde es nicht untersucht, um den Erzbischof beim Begräbnis im offenen Sarg durch die Stadt tragen zu können. Die gute Beschreibung lässt aber eine Durchblutungsstörung des Gehirns vermuten, möglicherweise einen Hirngefäßverschluss durch Arteriosklerose (Arterienverkalkung), bei der sich im Laufe der Zeit an den Innenwänden der Blutgefäße Ablagerungen aus Fett und Zellen (Plaques) bilden. Dadurch wird das Gefäß enger, immer weniger sauerstoffreiches Blut gelangt in das Hirngewebe und ein Schlaganfall wird ausgelöst. Da die Plaques leicht einreißen, können überdies Blutgerinnsel im Hirn entstehen, die das Gefäß verstopfen und die
Sauerstoffversorgung des Gewebes unterbrechen. Der Erzbischof starb also letztlich an einem zentralen Regulationsversagen infolge eines Schlaganfalls. Wenn ein Gerinnsel den Schlaganfall auslöst, wird heute versucht, dieses medikamentös aufzulösen (Lyse), doch sind die therapeutischen Maßnahmen bei einem derart massiven Ereignis noch immer höchst eingeschränkt.
Dem Sektionsbericht zufolge betraf der Schlaganfall „den linken Teil des Körpers“, der schon längst von einem ähnlichen Schlaganfall zur Paralyse erschlafft“ war. Crosina, der sich erst seit zwei Monaten in Salzburg befand, könnte hier ein Fehler bei der Angabe der Körperseite unterlaufen sein, wie er selbst in aktuellen Krankengeschichten bisweilen unterläuft. Sofern aber kein Irrtum im Protokoll vorliegt, kann nicht der erwähnte Schlaganfall von 1605 gemeint sein, der ohne Zweifel die rechte Körperhälftebeeinträchtigt hatte. In diesem Fall dürfte der Erzbischof unter konsekutiven kleinen Schlaganfällen mit typischen Lähmungserscheinungen gelitten haben, die sich immer wieder gänzlich oder zumindest teilweise zurückbildeten.
Abgesehen von Lähmungen könnten die Schlaganfälle eine Reihe weiterer Folgeschäden nach sich gezogen haben. Ob aus diesem Grund beim Erzbischof epileptische Anfälle auftraten, diskutierte zuletzt eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Gudrun Kalss. Will man überdies Wolf Dietrichs Altersporträt in der Residenzgalerie Salzburg als authentische Quelle gelten lassen, so ist gegenüber früheren Gemälden eine auffällig veränderte Stellung der Augen erkennbar: Schädigt ein Schlaganfall die Augennerven, führen Augenmuskelstörungen zum Schielen.
Überdies vermag ein Schlaganfall indirekt zähen Schleim in den Lungen zu bedingen, wie er im Sektionsprotokoll hervorgehoben wird: Durch eingeschränkte Atembewegungen und langes Liegen sammelt sich Schleim in den Bronchien. Auf diesem idealen Nährboden für Bakterien können sich innerhalb kürzester Zeit eine Lungenentzündung und ein Lungenabszess entwickeln, das als „vergleichsweise großes Geschwür“ beschrieben wird. Die eindrucksvoll geschilderten Verwachsungen von Lungen- und Rippenfell lassen hingegen eine frühere Rippenfellentzündung vermuten, welche neben der von den Ärzten losgerissenen Pleuraschwarte die als „Hagelkörner“ beschriebenen, kleinfleckigen Verkalkungen des Lungenfells zur Folge gehabt haben könnte.Ob die im Protokoll notierte Vergrößerung des Herzens (Herzmuskelhypertrophie) auf die erhöhte Herzarbeit gegen diesen Widerstand in den Lungen zurückzuführen ist, lässt sich retrospektiv nicht mehr klären.ekannt ist dagegen, dass erbliche Faktoren das Schlaganfallrisiko erhöhen. Tatsächlich starb bereits der namensgebende Großvater des Erzbischofs, Wolf Dietrich von Ems (1507–1538), im Alter von erst 31 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls. Der Erzbischof selbst verstärkte das Erkrankungsrisiko noch zusätzlich durch seine unmäßige Lebensweise: Zeitlebens liebte er eine üppige Tafel, an der er zusammen mit seiner Lebensgefährtin Salome Alt selbst die gebotenen Fastentage zum Entsetzen der Augenzeugen gar nicht, oder doch gar wenig einhielt und durch sein schlechtes Beispiel die Unterthanen gleichsam in diesem Laster gestärkt hat.