Da ist einer davon gekommen
LESEPROBE / LAHER / BITTER
17/03/14 Bis zu seinem Tod Ende der fünfziger Jahre ist Bitter immer elegant davongekommen, nun wird ihm endlich im Erzählen der Prozess gemacht: „Ludwig Laher zeichnet - minutiös recherchiert - in verschiedenen Tonlagen den bemerkenswerten beruflichen wie privaten Werdegang des Gestapo-Chefs von Wiener Neustadt und Massenmörders von Charkow nach.“ – Hier eine Leseprobe.
Von Ludwig Laher
Ried im Innkreis, nur drei Dutzend Kilometer von
Scharding entfernt und mit der Bahn bequem zu erreichen,
ist Sitz eines staatlichen Bundesgymnasiums, das
Fritz Bitter ohne große Umstande den Schulabschluss
ermöglicht. Er bezieht zu diesem Zweck ein kleines
Untermietzimmer in der Linzer Gasse und fühlt sich
sofort wie im siebten Himmel in der neuen Umgebung.
Sein Rieder Klassenvorstand, Religionsprofessor Peter
Kitlitzko, hat übrigens vor zwanzig Jahren an der
Linzer Realschule mit Missvergnügen, wie er bekennt,
einen gewissen Adolf Hitler unterrichtet, der schon ein
paar Monate später draußen in München Schlagzeilen
machen wird. Sein rechtsgerichteter Putschversuch
wird Anlass für hitzige Diskussionen in Bitters neuem
Freundeskreis geben.
Die kleine Bezirksstadt Ried im Zentrum des Innviertels
gilt als Hort des Deutschnationalismus, viele
Gymnasiasten vertreiben sich ganz offen als weithin
sichtbare Mitglieder der conservativen Semestralver-
bindung Germania die Zeit, meist in geselliger Wirts-
hausrunde bei den Kneipen oder auch auf dem Fechtboden.
Bei dieser Burschenschaft und im Alldeutschen
Verband heuert Fritz umgehend an, mit dem Verstecken-
spielen hat es sich aufgehört.
Indiskretionen würden es sogar erlauben, ausführlich
aus dem Mensurbuch der Germania zu zitieren und
etwa genau aufzulisten, im wievielten Gang am ersten
Hornung 2037 der Unparteiische Stich konstatierte,
worauf Germania in der Auseinandersetzung mit Arminia
Gmunden den unterlegenen Paukanten, Fuchs
Bitter, für abgeführt erklärte.
Neben den Monatsnamen wirken für Nichtverschworene
auch die in solchen Kreisen gebräuchlichen
Jahreszahlen ziemlich gewöhnungsbedürftig. Des Rätsels
Lösung: In der Schlacht bei Noreia 113 vor Christi
Geburt durchstoßen die Germanen, wie fleißige Historiker
ermittelt haben, erstmals urkundlich den geschichtlichen
Nebel, eine wahre Stunde null sozusagen
für die gesamte Menschheit.
Im christlichen Jahr 2000 wird zu ihrem Neunziger
eine Festbroschüre der Germania erscheinen, würdig
einbegleitet durch sehr herzliche Dankesworte und aufrichtige
Glückwünsche des aktuellen oberösterreichischen
Landeshauptmanns. Im Inneren des Druckwerks
wird man einerseits über die schlimme Meinungsdiktatur
der Gegenwart, etwa die planmäßige Vergiftung von
Dichtung, Theater, bildender Kunst, Architektur aufgeklart
werden, doch lassen sich auch aufschlussreiche
Details über die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, der so
bitter endete, in Erfahrung bringen: Die ersten Nachkriegsjahre
brachten für viele Bundesbrüder Unbill und
Verfolgung. Viele wurden aus ihren Ämtern gejagt, viele
interniert und insgesamt fast alle verfolgt und verfemt.
Ein einziges fotografisches Einzelportrat aus den
Blutetagen der Verbindung zwischen 1919 und 1933
wird in diesem historischen Abriss mehreren anonymen
Gruppenaufnahmen früher Mitglieder beigegeben
werden. Die Bildunterschrift in der Jubiläumspublikation
wird verraten, es handle sich bei dem unter allen
anderen Kommilitonen auffällig Hervorgehobenen um
den seinerzeit aktiven Burschen Fritz Bitter, aufgenommen
am zwölften Nebelung 2036, wie nur auf der
Rückseite des erhaltenen Originals zu lesen steht.
Der aber erwirbt sich seine zweifelhafte Reputation,
es wird ausführlich davon die Rede sein müssen, ausschließlich
wahrend der Herrschaft des Nationalsozialismus,
und das in einer so bedenklichen Weise, dass
sogar Ernst Klees einschlägiges ›Personenlexikon zum
Dritten Reich‹ ihm einen Klartext sprechenden Eintrag
widmen wird, wenngleich einen ziemlich unvollständigen,
der allerdings auf die richtige Spur fuhrt. Regelmäßig
wird Bitters Name bei Ermittlungen zu Massakern
der SS von früheren Untergebenen ins Spiel
gebracht werden, und das hin bis zur Jahrtausendwende.
Würdigt die Germania also diesen Umstand?
Mit freundlicher Genehmigung des Wallstein Verlages.
Ludwig Laher: Bitter. Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2014. 237 Seiten, 20,50 Euro - www.wallstein-verlag.de
Ludwig Laher präsentiert auf Einladung des Literaturforums Leselampe seinen neuen Roman am Dienstag (18.3.) um 20 Uhr im Literaturhaus. Es moderiert Thorsten Ahrend vom Wallstein Verlag.