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Martinigänse und frischer Wein

LESEPROBE / HOCHZEITSLADER, KRAPFENSCHNAPPER, SEITELPFEIFER

08/11/13 Wie ist das mit dem heiligen Martin und dem Ganslessen? Und wie halten es die Burgenländer mit ihrem Landesheiligen? – Das Martinsfest am 11. November ist eines der brauch-intensivsten im Spätherbst. Eine Leseprobe aus dem Band „Hochzeitslader, Krapfenschnapper, Seitelpfeifer“ von Reinhard Kriechbaum.

Von Reinhard Kriechbaum

Warum geht es wirklich zu St. Martin den Gänsen an den Kragen? Der bescheidene Mann sei, so die Legende, für das Bischofsamt von Tours ausersehen gewesen. Das entsprach allerdings nicht seiner Karriereplanung, und so versteckte er sich in einem Stall. Doch das Schnattern der Gänse habe ihn verraten, berichtet die Legende. Eine andere Variante der Geschichte: Als Martin, nun bereits Bischof, predigte, sei eine Schar Gänse schnatternd durch das Gotteshaus gezogen. Man habe sie eingefangen und gegessen.

In Wirklichkeit steckt hinter dem „Martinigansl“ die alte bäuerliche Wirtschaftsordnung. Der 11. November war einst ein wichtiger Tag im Bauernjahr, Hauptzinstag nämlich. Da wurden dem Gesinde die Löhne ausbezahlt, man hat Pachtverträge ausgehandelt und man hat Steuern abgeführt. Oft natürlich in Naturalien, und da waren Gänse beliebt. Warum? Weil in diesen Tagen das Kleinvieh geschlachtet wurde, das man nicht über den Winter füttern wollte. Die Gänse hatten ganz schlechte Karten und landeten im Kochtopf. Ein weiterer guter Grund für einen Gänseschmaus zum Martinsfest: Die Adventzeit dauerte früher vierzig Tage (analog zur Fastenzeit) und nicht bloß vier Wochen, begann also schon am 12. November. Da kam am Vorabend ein Festmahl gerade recht.

Im Musik-Repertoire des deutschen Gesellschaftsliedes im 16. Jahrhundert finden sich Martinslieder sonder Zahl, die Völlerei ist dabei immer ein ironisch abgehandeltes Thema.

Mag sein, dass auch im „Hühneropfer“ in St. Martin, einer Gemeinde nahe dem Kärntner Feldkirchen, auf eine vage Erinnerung auf Martini als „Zahltag“ zurückgeht. Beim Martini-Umzug werden auch eine Gans und ein Lämmchen als „Opfertiere“ mitgeführt. Hühner und anderes Kleintier, aber auch Sachpreise, die in den Tagen zuvor von der Bevölkerung gespendet wurden, werden dann verlost und das Geld kommt der Pfarre zugute. In Kärnten sind dem heiligen Martin (dem ersten Nicht-Märtyrer im Heiligenhimmel) übrigens nicht weniger als 51 Kirchen geweiht!

Wie ist das nun mit dem heiligen Martin und dem Burgenland, wo er Landespatron ist? So jung wie das Burgenland als österreichisches Bundesland ist seine Verehrung. Der heilige Martin von Tours wurde zwar 316 oder 317 im heutigen Szombathely (dem römischen Sabaria) nahe der heutigen Grenze zwischen dem Südburgenland und Ungarn geboren. Seiner ernsthaft erinnert hat man sich hier aber erst, als es nötig schien, den Burgenländern so etwas wie eine eigene regionale Identität zu geben. Das Burgenland war ja erst im Dezember 1921 zu Österreich gekommen. Da kann also der aus Pannonien stammende Heilige gerade recht. Die Landesregierung wurde in Rom vorstellig, und so wurde Martin mit Dekret des Heiligen Stuhles vom 10. Dezember 1924 zum Landespatron erhoben. Der „authentische“ Heilige in der Region wäre freilich der ungarische König Stefan der Heilige – aber den beansprucht ja schon Ungarn für sich...

In früheren Jahrhunderten war die Martin-Verehrung im Burgenland jedenfalls nicht intensiver als in anderen Gegenden. Volkskundlern und Kirchenhistorikern ist sogar aufgefallen, dass der heilige Martin auf alten Bildstöcken im Burgenland kaum vorkommt. Und noch ein Indiz für den geringen Stellenwert Martins, aus der Welt der Kulinarik: „Martinigänse“ zu verzehren war in der Gegend früher ganz unüblich.

Unterdessen gehören die Gänse freilich auch zum „Martiniloben“, hier und in angrenzenden Gebieten der Steiermark. Ein solches gibt es in den ersten Novemberwochen bei jedem Wirt, der auf sich (und aufs Burgenland) hält. Das „Martiniloben“ ist ein ursprünglicher Brauch der Winzer. Ungefähr zu diesem Termin sind die ersten Weine fertig gegoren. Deshalb öffnen viele Winzer nicht nur rund um den Neusiedler See ihre Weinkeller und laden zur Verkostung des „Heurigen“ ein. Weinsegnungen („Martiniwein-Taufen“) sind nicht selten.

Reinhard Kriechbaum: Hochzeitslader, Krapfenschnapper, Seitelpfeifer. Bräuche in Österreich – Sommer, Herbst und Lebenskreis. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2013. 224 Seiten, 24 Euro - www.pustet.at
Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Anton Pustet
Zur Buchbesprechung {ln:Nicht bloß bei den Papuas und den Nuba}

 

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