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Drei Tonnen machen das Leben nicht leichter

LESEPROBE / LANGENEGGER

17/01/23 Manuel will endlich sein Leben – samt Beziehung – in Schuss bringen. Mitten im Nachdenken stirbt der Vater. Dieser hinterlässt Manuel den Familienbetrieb, eine Schlüsselfirma, samt drei Tonnen Roh-Schlüssel. – Hier eine Leseprobe.

Was man jetzt noch tun kann

Von Lorenz Langenegger

Blasser und Söhne, Nachfolger. In großen Lettern stand der Name über dem Schaufenster der Eisenwarenhandlung. Als Manuel eintrat, schlug die Tür gegen eine Glocke. Ein älterer Herr in blauem Arbeitskittel suchte für einen Kunden die richtige Schraube aus einer Lade. Er schob die Brille in die Stirn, um Länge und Durchmesser zu vergleichen. Als er die passende Größe gefunden hatte, rollte er aus einer Zeitungsseite eine Tüte, in die er zwanzig Stück abzählte. Er tippte den Preis in die Registrierkasse, die mit dem hellen Echo der Türglocke aufsprang. Der Kunde packte die Schrauben und das Wechselgeld ein. Manuel wartete, bis er sich verabschiedet hatte, dann stellte er sich vor und legte das Musterset seiner Schlüssel auf die Theke.

Er versuchte, die Rolle des Vertreters so gut wie möglich auszufüllen, aber das Lächeln auf seinem Gesicht fühlte sich fremd an. Es erinnerte ihn an einen Nachmittag in seiner Kindheit. Er ging noch nicht zur Schule. Sein Vater nahm ihn an der Hand, er bildete sich ein, den Druck zu spüren, warm und weich. Weshalb begleitete er ihn? Wohin fuhren sie? Sie traten durch ein riesiges Tor in eine Lagerhalle und warteten an einer Rampe. Ein Mann mit einem langen Bart kam auf sie zu, und als sein Vater ihm die Hand gab, erschrak Manuel. Das Gesicht seines Vaters hatte sich verändert, sein Lächeln und seine Stimme waren plötzlich fremd.

Manuel räusperte sich. Der Nachfolger von Herrn Blassers Söhnen drehte den Schlüssel zwischen den Fingern, wie um zu prüfen, ob er sich gut drehen ließ. Manuel glaubte, ein Bedauern in seinem Blick zu erkennen, und der Mann schüttelte den Kopf. Beschläge führe er noch, Schlüssel und Zylinder habe er aus dem Sortiment genommen. Heutzutage baue sich niemand mehr selbst ein Schloss ein, und für die wenigen Ausnahmen gebe es Ware aus China, aber damit wolle er nichts zu tun haben. Er wies mit dem Kopf nach draußen: Hundert Meter die Straße hinunter, Billig und gut.

In dem Laden mit dem anmaßenden Namen gab es auf knapp hundert Quadratmetern alles, was man für einen funktionierenden Haushalt brauchte. Die übervollen Regale, die bis zur Decke reichten, machten aus ihm ein Labyrinth, in dem wohl schon mancher Kunde auf der Suche nach einer Seifenschale oder einem Putzschwamm verloren gegangen war. Das Geschäft ersetzte die Eisenwarenhandlung, die Papeterie, das Elektrofachgeschäft und den Laden mit Küchenbedarf. Aschenbecher stapelten sich neben Bilderrahmen, Töpfe wurden im Dreierset angeboten, Kugelschreiber, Buntstifte und Haftnotizen lagen neben Hochzeits- und Kondolenzkarten. Manuel nahm einen Block mit Notenpapier in die Hand. Bunte Instrumente mit lachenden Gesichtern zierten den Deckel. Kalender gab es nicht nur vom kommenden Jahr, sondern zum halben Preis auch vom aktuellen und für neunundneunzig Cent sogar vom vergangenen Jahr. Er überlegte, wer sich für Kalender vom letzten Jahr interessieren könnte. Schriftsteller vielleicht? Er blätterte darin, für jeden Tag eine Seite, alle schon vergangen, trotzdem noch leer, die Wochenenden, die Feiertage und Vollmonde, das ganze letzte Jahr, in diesem schlichten schwarzen Büchlein hatte es nicht stattgefunden. Er nahm es mit, das war ihm neunundneunzig Cent wert.

Mit freundlicher Genehmigung des Jung und Jung Verlages.

Lorenz Langenegger: Was man jetzt noch tun kann. Roman. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2022. 272 Seiten, 24 Euro, auch als e-book erhältlich – jungundjung.at 
Lorenz Langenegger und Andreas Unterweger lesen am DO (19.1.) um 19.30 im Literaturhaus aus ihren Romanen Was man jetzt noch tun kann und So long, Annemarie. Es moderieren Harald Gschwandtner und Magdalena Stieb – www.literaturhaus-salzburg.at
Bild: Jung und Jung / Barbara Sigg

 

 

 

 

 

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