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Integration ist Humbug

LESEPROBE / JAD TURJMAN / WENN DER JASMIN WURZELN SCHLÄGT

21/09/22 Jad Turjman wurde 1989 in Damaskus geboren. Floh aus Syrien. Lebte seit 2015 in Salzburg, schrieb Bücher, machte Stand Up Comedy, setzte sich im Akzente-Projekt Heroes für Gleichberechtigung ein. Am 29. Juli verunglückte er tödlich am Hohen Göll. Die Geschichte seiner Flucht erschien bereits 2019. In seinem letzten Buch erzählt der Autor vom Ankommen, von Fettnäpfchen, Rassismus und einer neuen Heimat. – Hier eine Leseprobe.

Von Jad Turjman

Würde man mich fragen, ob „Integration“ besser am Land funktioniert, wäre meine Antwort: Bitte wiederholen Sie das Wort „Integration“ nicht. Es ruft bei mir Abscheu hervor. Ich habe diesen Begriff aus meinem Wortschatz gestrichen und durch „Zusammenleben, Zusammenhalt oder Voneinander-Lernen“ ersetzt. Wenn ich das Wort „Integration“ oder „Toleranz“ in einer politischen Debatte höre, spitze ich automatisch die Ohren und weiß, dass in den meisten Fällen eine Hierarchisierung der Überheblichkeit und Machtstrukturen zur Schau gestellt wird.

„Bist du Christ? Du bist offener und aufgeschlossener als deine Landsleute! Du bist aber sicher kein strenger Muslim, daher kommst du mit der österreichischen Mentalität zurecht. Was ist dein Geheimnis, so gut integriert zu sein?“, wurde ich immer wieder gefragt. Dabei fühle ich mich selbst nicht gut integriert. Worin denn? Ich konnte für mich selbst nicht defi nieren, was diese sogenannte „Integration“ sein sollte. Außerdem weiß ich nicht, ob diese Komplimente als Lob gesehen werden können. Ich weiß nur, dass Flucht oder Migration oft bedeutet, auf den Startpunkt des Lebens zurückgeworfen zu werden. Und das ohne die Fürsorge der Eltern und der vertrauten Umgebung! Einige Politiker:innen behaupten, dass der Fremde die Quelle von allem Übel sei. Er müsse gehen oder sich anpassen. „Integration“ ist das Allheilmittel, das sie den Fremden anbieten, das aber, wie jedes Allheilmittel, Humbug ist. Die Gegenfrage ist: „Was ist denn österreichisch an den Österreicher:innen?“ Nach acht Jahren in Österreich fällt es mir schwer, diese Frage zu beantworten, denn Österreich ist sehr bunt und unterschiedlich. Ich weiß nur, dass das Zusammenleben dort gelingt, wo nicht über „Integration“ debattiert wird und die vermeintlich „Fremden“ keinen überheblichen Inspektionen ausgesetzt sind.

Ich war am Anfang vom eindimensionalen Integrationskonzept überzeugt. Ich wollte mich auf Teufel komm raus integrieren. Ich lehnte die Wohnung in Wien ab und zog in das Salzburger Land, lernte die deutsche Sprache bis zum C2-Niveau und meldete mich beim Fußballverein an. Aber zu meiner Überraschung wurde das Gefühl des Andersseins stärker, je mehr ich mich mit Österreicher:innen umgab. Die fehlenden sozialen Codes und die noch nicht genügende Beherrschung der Sprache wurden immer mehr zum Verhängnis. Oft erlebte ich, wenn ich etwas Kompliziertes artikulieren wollte, dass die Worte in meinem Mund stockten und ich lange brauchte, bis ich die passenden Begriffe fand, und dann fiel mir jemand ins Wort und das Gespräch ging weiter, und ich fühlte mich sprachbehindert. Wenn ich über Themen sprechen wollte, die mich damals beschäft igten und interessierten, wie der Krieg in Syrien oder Rassismus, verstummte oft das Gespräch und das Thema wurde schnell gewechselt. Ich konnte auch nicht viel zu Urlaubserfahrungen oder der innenpolitischen Lage Österreichs beitragen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wurde deutlich, dass es nicht möglich ist, einen gleichwertigen Ersatz zu dem zu finden, was ich an sozialem Eingebundensein nach der Flucht verloren hatte. Die Erfahrungen in der primären sozialen Umgebung haben mich nicht auf diese Lebensstile und Lebenssituationen vorbereitet. Und die neue Gesellschaft hat nur bedingt Raum für die Andersartigkeit.

Es gibt jedoch einen positiven Aspekt meiner Erfahrungen der Entwurzelung aus Damaskus und der Tatsache, neue Wurzeln in einem anderen sozialen Kreis zu schlagen. Ich habe durch diese intensive Auseinandersetzung mit meiner alten und neuen Umgebung mehr zu mir selbst gefunden und mich selbst besser kennen und verstehen gelernt. Allein dadurch, dass ich nicht mehr in den familiären, sozialen und spirituellen Strukturen meines sozialen Milieus in Syrien lebe, konnte ich diese erst begreifen und mich von deren destruktiven Einflüssen, die mich an meiner Entfaltung hinderten, befreien. Ich habe in Österreich neue und wertvolle Aspekte des Lebens und Zusammenlebens kennenlernen dürfen, die mir halfen, meine Lebensart zu refl ektieren und infrage zu stellen. Ebenfalls gaben mir meine Erfahrungen aus dem früheren Kulturkreis die Ressourcen, die herrschenden Lebensstile in der österreichischen Gesellschaft mit einem wachsamen Auge zu betrachten. Mit anderen Worten: Meine Erfahrungen in Syrien halfen mir, die Gesellschaft in Österreich zu analysieren, und meine Erfahrungen in Österreich ermächtigten mich, die Gesellschaft in Syrien zu refl ektieren. Dadurch durfte ich neue Aspekte von mir entdecken. Ich möchte nicht um jeden Preis meine Bedürfnisse nach Zugehörigkeit erfüllen. Ich habe mittlerweile meinen ganz persönlichen Lebensstil und eine dynamische und vielschichtige Identität. Die Identitätsschichten sind unser Navigationssystem, welche uns durch das Leben führen und ständig aktualisiert werden müssen. Sie sind ein körperlicher, psychischer und spiritueller Ausdruck unseres Selbst. Gesund sind sie, wenn wir sie bedingungslos annehmen, obwohl diese Schichten nicht immer miteinander harmonieren und Widersprüchlichkeiten und Ambiguitäten aufweisen. Aber ich liebe alle meine neuen und alten Anteile und genieße die Lebenskraft, die aus deren Verbundenheit entsteht. Ich bin nicht mehr auf ein hohles Zugehörigkeitskonstrukt angewiesen. Ich durfte in den Genuss kommen, eine wahre Zugehörigkeit zu empfinden, die von innen nach außen verläuftund nicht umgekehrt. Die Frage nach meiner Herkunftist mir mittlerweile so leidig, aals würde ich den Nachspann eines langweiligen Films lesen müssen. Ich habe mich von dem Druck der Identifi kation befreit. Ich habe die langersehnte Heimat in mir gefunden, indem ich mich mit nichts identifi ziere außer mit meinem Atem. Ich möchte mich nicht kategorisieren, damit ich mich nicht verliere. Ob in meinem Reisepass Syrien, Österreich oder Indien steht, kümmert mich nicht. Denn ich fühle den Menschen in mir in seinen unzähligen Facetten und erkenne mich in allem, was mir begegnet, wieder. Und wenn ich Dichter wäre, hätte ich gesagt: Ich bin wir alle.

Mit freundlicher Genehmigung des Residenz Verlages

Jad Turjman: Wenn der Jasmin Wurzeln schlägt. Mit einem Vorwort von Karim El-Gawhary und einem Nachwort von Vladimir Vertlib. Residenz Verlag, Salzburg Wien 2022. 256 Seiten 25 Euro, auch als e-Book erhältlich – www.residenzverlag.com
Die für Freitag (23.9.) um 19.30 Uhr geplante Buchpräsentation im Literaturhaus wird als ein Abend IN MEMORIAM stattfinden zusammen mit dem Autor Vladimir Vertlib und der Verlegerin Claudia Romeder. Es moderiert Literaturhaus-Leiter Tomas Friedmann – www.literaturhaus-salzburg.at
Bild: www.jadturjman.com

 

 

 

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