Himmelwärtiger Zufluchtsort
LESEPROBE / ELISABETH KLAR / HIMMELWÄRTS
07/05/20 Wir alle spüren es: Der Raum für die, die anders denken, anders aussehen und anders lieben, wird enger. Die Bedrohung stärker. Noch gibt es das „Himmelwärts“, die glitzernde Bühne der Dragqueens, den Zufluchtsort der Außenseiter und Nachtgestalten. Sie sind es, von denen Elisabeth Klar in ihrem poetischen Roman Himmelwärts erzählt. – Hier eine Leseprobe.
VON ELISABETH KLAR
1
Für das Himmelwärts die weite Bluse, rostrot, die Hose dafür eng. Die schwarzen Armstulpen. Du schaust aus wie ein Strizzi, sagt Adin, du siehst aus wie das Füchslein, das du bist, sagt Ronaldo. Verschlagen, sagt Jonathan, das Verschlagene steht dir gut. Die Nägel immer so lang und scharf, für das Himmelwärts schwarz gefärbt, am Montag muss der Nagellack ab sein. Nicht zu sehr die Blicke auf die Krallen lenken.
Heute sitzen sie an der Bar, Adin, Jonathan und sie, Peter steht dahinter. Ronaldo auf der Bühne mit seiner Glitzerjacke, singt Playback zu einem Lied, das Sylvia nicht kennt. Er wiegt sich, streckt die Arme von sich, hebt den Kopf, den Scheinwerfern entgegen. Zwischen der Bar und Ronaldo die Tanzfläche, jetzt leer, weil die Drag-Show begonnen hat, nachher wird sie sich wieder füllen. An den seitlichen Tischen tratscht und trinkt das Publikum, während Ronaldo auf der Bühne die Hand weit öffnet.
„Bemüht sich nicht mehr genug“, sagt Adin, meint wohl Ronaldos Bartstoppeln, und dass er heute kein Mieder unter dem Abendkleid trägt. Man sieht seinen Bauch recht gut. Peter zapft noch ein Bier, nickt, Sylvia ist sich nicht sicher, ob er derselben Meinung ist oder ob er nur nickt, um zu nicken. [...]
Und Jonathan, mit seinen kleinen, wunderschönen Ohren. Er braucht am Anfang immer ein bisschen Zeit. Sitzt auf seinem Barhocker, beobachtet den Raum. Beobachtet Adin. Will etwas von Adin. Sie sieht das an seiner Hand, die auf halbem Weg zu Adin auf der Bar liegt, wie zu ihm ausgestreckt. Das Lied endet, die Drag-Show endet, Adin grinst, drückt sich dann weg durch die Männer und großen Frauen, die wieder auf die Tanzfläche drängen, oder an die Bar. Vielleicht geht er in die Garderobe, um sich die Flügel anzuschnallen? Er sieht gut aus mit ihnen.
„Tanzen, tanzen!“, ruft Sylvia und springt auf und ab.
Jonathan sieht sie an und lächelt.
„Man könnte meinen, du wärst unter der Woche nicht genug auf den Beinen.“
„Hey du“, sagt Ronaldo, der sich zu ihnen durchgekämpft hat, umarmt Jonathan. Er trägt heute diese Wimpern, die man aufkleben kann. Sylvia liebt die. So lang, so lang. Ronaldo will etwas von Jonathan. Sie sieht das daran, wie er Jonathan umarmt. Hört es an seiner Stimme. Wärmer. „Du solltest mehr essen, Kleiner.“
Ronaldo umarmt sie auch und sie drückt sich an seine Brust. Befühlt seine Hüften. Er wird weicher dort, fülliger, und wenn sie dürfte, würde sie seine Fleischfalten zwischen die Finger nehmen, sie fasst die so gerne an. Aber sie darf nicht, weil er sich dafür schämt.
„Kleiner, wenn du mich nur lassen würdest, dich würde ich auch gern mal schminken.“
Jonathan lacht: „Nicht jeder hat das Zeug zum Drag.“
„Aber kaum jemand wird nicht noch hübscher davon“, wirft Ronaldo zurück.
Sylvia findet, er hat recht. Am liebsten mag sie Antonio, der nie auftritt, aber trotzdem von allen zu den Queens gezählt wird. Er ist glatzig, trägt immer Jeans und T-Shirt und schminkt sich nur die Augen, dafür so richtig. Ein Streifen Farbe geht quer über sein Gesicht, wie Fellzeichnung oder Federkleid, bunt glitzernd und gefährlich.
Sylvia will mit Antonio raufen, es muss gar nicht mehr sein als das. Aber raufen. Sylvia will Jonathan ein Ohr abbeißen. Oder mehr.
Schon als sie ihn das erste Mal getroffen hat. Wie Beute hat er gerochen. Sie ist ihm gefolgt, ist um ihn herumgeschlichen, auf der Straße vor dem Himmelwärts, während er mit Ronaldo geraucht und über die Arbeit gesprochen hat. Jonathan hat sich zu ihr umgedreht.
Hat sie angesehen, schief. Unsicher, was sie von ihm will. Hat ihr dann eine Zigarette angeboten.
„Eine Zigarette? Was soll ich dafür tun?“
Ein Tabakgeschenk. Du willst mir einen Handel anbieten, dachte Sylvia damals.
„Wie meinst du, was sollst du dafür tun? Gar nichts sollst du dafür tun. Warum tappst du so um mich rum?“
„Dann behalte sie.“
Auch wenn Jonathan die alten Regeln offensichtlich nicht kannte – eine vage Verpflichtung einzugehen war nie gut.
„Und weil du so schön tanzen kannst.“
„Wann hast du mich überhaupt tanzen gesehen?“
Hatte sie auch gar nicht, aber er scheuchte sie nachher nicht mehr fort, und Ronaldo war von Anfang an gut auf sie zu sprechen. Er nannte sie seinen kleinen Mephistopheles, bis sie einmal in der Garderobe eines von Adins Kostümen anprobiert hat.
Als sie das enge, blau glitzernde Top über den Kopf zog, haben sich die Armstulpen eingerollt und sind hochgerutscht. Da hat er dann recht schnell verstanden, was sie in Wahrheit ist.
Mit freundlicher Genehmigung des Residenz Verlages