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Eine Lebensbescheinigung für die Leser

LESEPROBE / ALOIS BRANDSTETTER / LEBENSZEICHEN

15/02/19 Zu seinem 80. Geburtstag gibt Alois Brandstetter Lebenszeichen voller Witz, Weisheit und Frische. Die „Lebensbescheinigung“, die er dem deutschen Renten Service jährlich abliefern muss, inspiriert ihn zu einem der hintersinnigsten „Lebenszeichen“ dieses vergnüglichen Bandes. Neugierig, scharfsichtig und ironisch widmet er sich den Details des Alltags und den großen Fragen des Lebens. – Hier eine Leseprobe.

VON ALOIS BRANDSTETTER

Lebenszeichen

Ein Lebenszeichen ist nach der Definition des Deutschen Universalwörterbuchs (Duden) ein »Anzeichen oder Beweis dafür, daß jemand (noch) lebt. Herzschlag und Atem sind die wichtigsten Lebenszeichen.« Und das erste Lebenszeichen des Neugeborenen ist bekanntlich der Schrei, ein unartikulierter, vielsagender Schrei, der Mutter und Hebamme beruhigt. Im »Deutschen Wortschatz« meines Saarbrücker Lehrers Hans Eggers ist zum Stichwort Lebenszeichen auf das Kapitel D, Geistesleben, verwiesen, und darunter auf Brief … Der Brief also als das Lebenszeichen schlechthin. »Von den Analphabeten wissen wir wenig. Sie schreiben uns keine Briefe …« Aus dem Internet erfahre ich zu meinem Erstaunen, daß ich diesen Satz im Zusammenhang mit den schlecht beleumundeten Galatern und dem Galaterbrief des Apostels Paulus in meinem Roman »Ein Vandale ist kein Hunne« erörtert habe. Ein alter Mensch darf sich auch einmal wiederholen. Aber Alter soll auch kein Freibrief für dauernde Wiederholungen sein. Bei den Stammtischen älterer Menschen gibt es freilich immer wieder Teilnehmer, die bald wöchentlich den gleichen, nein, denselben Witz zum besten geben, für den sie freilich immer wieder mit beifälligem Gelächter belohnt werden. Nicht nur die Erzähler, auch die Hörer sind vergeßlich. Die »Narratoren« fragen nicht lange: Kennt ihr den schon?
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Ein besonders wichtiges »Lebenszeichen« ist bei sich dem Ende zuneigenden Schriftstellerkarrieren (wie meiner …) der Leserbrief, wenn der lange epische Atem versagt – und die Lust am Recherchieren schwindet. Ist das Leserbriefschreiben unter der Würde eines zünftigen Schriftstellers? Der Leserbrief ist immerhin gelebte Demokratie! Julian Schutting hat freilich gemeint, daß Autoren, die ganz allgemein für Zeitungen zu schreiben beginnen, alsbald auch anfangen würden, die Bedeutung dieser Beiträge zu überschätzen. Die letzte »Publikation« Thomas Bernhards war ein Leserbrief an die Salzkammergut-Zeitung, ein Plädoyer für die Erhaltung der Gmundner Straßenbahn – sein letztes literarisches »Lebenszeichen«! Er hat ja auch sonst das Leserbriefeschreiben und das Verfassen »Offener Briefe« nicht gerade verschmäht … Die Initialzündung einiger seiner berühmten Skandale war ein explosiver »Offener Brief«. Und im Gegensatz zu Karl Ignaz Hennetmair, »Bernhards Eckermann«, bin ich der Meinung, er sei bei seinem letzten Brief an die Salzkammergut-Zeitung noch sehr wohl bei Verstand gewesen … In »Goethe schtirbt« schreibt Bernhard, die letzten Worte Goethes seien nicht »Mehr Licht!«, sondern »Mehr nicht!« gewesen. War Thomas Bernhards persönliches »Vermächtnis« also trotz allem nicht der pessimistische Hype der »Auslöschung«, auch nicht das schlußendliche Dementi alles von ihm Geschriebenen durch Goethe selbst, der sich bei Bernhard als »Vernichter des Deutschen« bezeichnet und als anachronistischer Wittgenstein-Verehrer (!) darstellt –, sondern das rührende Plädoyer für die Erhaltung der Gmundner Stern und Hafferl-Schmalspurbahn?
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Meine »Lebenszeichen, Lebensnachweise und Lebensbescheinigungen« – seien es die eingangs beschriebenen an die deutsche Rentenstelle in Neubrandenburg, aber auch hin und wieder einen kleinen Aufsatz oder ein Feuilleton für die Zeitung (lange Romane, wie sie der zweiundneunzigjährige Martin Walser Jahr um Jahr veröffentlicht, habe ich nicht mehr vor) – schreibe ich nach wie vor im wesentlichen mit dem Zeigefinger der rechten Hand nach der »Bussard-Methode«: über der Tastatur kreisen und dann auf den gesuchten Buchstaben hinunterstürzen! Diesen Finger habe ich im Laufe der Jahre wohl überstrapaziert. Das hat er mir nun sichtlich als Beleidigung übelgenommen, jedenfalls hat er sich im letzten Jahr nun mit dem, von meinem Hausarzt so bezeichneten »Raynaud-Syndrom« gerächt. Er wird beim leichtesten Anhauch von Kälte, ja nur Kühle »madenweiß, eiskalt und blutleer«, wie die Symptome im Lehrbuch beschrieben sind. Auslöser sei in der Regel ein Kältereiz und niedriger Blutdruck. Mit diesem (erträglichen) Leiden befinde ich mich vor allem in weiblicher Gesellschaft, nachdem es heißt, daß diesen Defekt nahezu nur Frauen haben, 90 Prozent der Patienten seien Patientinnen. Nachdem ich dieses Phänomen an einer meiner Schwestern im Buch »Vom Schnee der vergangenen Jahre« beschrieben habe, liegt es vielleicht auch in meinen Genen … Im Lexikon steht, das nach dem französischen Arzt Maurice Raynaud benannte »Syndrom« sei keine schwere Krankheit, sondern eher eine »Laune der Natur«, so wörtlich. Ich lasse mir jedenfalls davon die Laune nicht rauben. Ich hoffe, auch mit diesem wachsgelben und madenweißen Zeigefinger noch einige Lebenszeichen in meinen PC zu tippen, mag auch dieses »Raynaud-Syndrom« im Deutschen gern als »Leichenfingerkrankheit« bezeichnet werden.

Mit freundlicher Genehmigung des Residenz Verlags

Alois Brandstetter: Lebenszeichen. Residenz, Salzburg 2018. 256 Seiten, 24 Euro. Auch als e-book erhältlich - www.residenzverlag.com
Bild: Residenz/Lukas Beck

 

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