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Ohrwürmer, die sich ordentlich verlaufen

BUCHBESPRECHUNG / WER HAT DAS AVE MARIA GEKLAUT?

13/05/16 Die Ausgangslage: Elfenkönigin Titania ist von Puck einschlägig vorbehandelt worden, und so verschaut sich die Liebestolle ausgerechnet in den Handwerker Zettel, der seinerseits in einen Esel verwandelt worden ist. Die Musik zu dieser Szenerie in einer Kirche? Da könnte man doch glatt an Blasphemie denken...

Von Reinhard Kriechbaum

Blasphemie ist es natürlich nicht, sondern bloß liebenswürdige Ahnungslosigkeit. Von Mendelssohns „Hochzeitsmarsch“ aus der Bühnenmusik zum Sommernachtstraum ist die Rede. Wie viele Brautpaarer bekommen ih beim Auszug nach der Trauung um die Ohren geknallt und freuen sich sogar noch drüber! Gut, dass es weder mit der literarischen noch mit der musikalischen Bildung der Leute weit her ist.

Wäre der Bildungsstand ein höherer, dann würde man bei Hochzeiten wohl auch mit dem Brautchor aus dem „Lohengrin“ nicht ganz so großzügig umgehen: Aus der Hochzeitsnach mit Elsa wird bekanntlich nichts, denn die Neugierdsnase will ja unbedingt wissen, was es mit dem Herren auf sich hat, der im Schwanen-Nachen eingetroffen ist, ihr die Regentschaft gesichert hat und nun ins Hochzeitsgemach Einzug hält. Zum Vollzug der Ehe kommt es nicht, wegen Elsas lästiger Fragerei nach dem Namen.

Manche Musik ist eben ganz anders gemeint, als viele Leute glauben. Auf den Titel ist oft nichts zu geben. Gerade Ohrwürmer kriechen oft auf krummen Wegen dahin. Sie können sich, was der Wurm-Anatomie entschieden widerspricht, sogar ordentlich verlaufen. Peter Paul Kaspar, Musiker und Theologe, hat sich ihnen auf die Fersen geheftet. Eine Fanfare aus dem „Te Deum“ von dem französischen Barockkomponisten Marc Antoine Charpentier hat es bekanntlich zur Eurovisionshymne gebracht. Warum eigentlich das „Alle Menschen werden Brüder“ sich als Europa-Hymne aufgedrängt hat, sollte bei der gegenwärtigen Anti-EU-Stimmung misstrauisch stimmen. Nicht schwer fällt es, dem Autor beim literarischen Urteil beizupflichten: Schillers „Ode an die Freude“ sei ein „dürftiges Gelegenheitspoem“.

Peter Paul Kaspar weiß von „Musikalischer Enteignung“ zu berichten (so die Überschrift zum Kapitel über das „Ave Maria“ von Bach/Gounod). Er nennt Beethovens „Die Himmel rühmen“ ein „natürliches Gotteslob“, weil es bestens als überkonfessionelle Spiritualitäts-Droge taugt. Dass Österreich seine qualitätvolle Kaiserhymne (von Haydn) an Deutschland abgetreten und sich statt dessen eine Mozart bloß unterschobene Melodie eingehandelt hat, geht Kaspar eindeutig wider die Natur.

Aber vor allem ist Peter Paul Kaspar ein Anliegen, die eigentliche Herkunft von Stücken aufzudecken, die als Hochzeitsmusiken missbraucht werden. Das verwundert nicht, der Linzer Hochschul- und Künstlerseelsorger hält vermutlich mehr Hochzeiten als mancher Kollege im geistlichen Amt. Schuberts „Ave Maria“ hat mit der Gottesmutter ebenso wenig zu tun wie mit dem Liebesglück einer jungen Ehe. Das „Gebet einer Jungfrau“ gilt ihrem kranken Vater. Händels „Largo“ (aus Xerxes) ist ein Lobgesang auf einen Schatten spendenden Baum. Nicht nur bei Musik-Missgriffen nutzt Peter Paul Kaspar die Gelegenheit zu sanfter Belehrung, leisem Tadel und satter Predigt. Humor mildert alle Besserwisserei deutlich.

Ach ja, Bachs „Air“ ist auch so ein Faserschmeichler. Man könne sie „in vielen Arrangements hören – als besinnliche Musik zum Träumen, als Meditationsmusik für die Kirche und auch als verführerische Klangkulisse für erotische Events“. Hochwürden muss es wissen.

Peter Paul Kaspar: Wer hat das Ave Maria geklaut? Die wechselvolle Geschichte musikalischer Ohrwürmer. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2016. 144 Seiten, 22 Euro – www.pustet.at

 

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