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Ein Leben im Rückwärtsgang

BUCHBESPRECHUNG / WEIDENHOLZER

02/04/13 Dieser Roman erzählt rückwärts, von Kapitel 54 „Der Spiegel“ hin zu Kapitel 1 „Ich bin“. Und dann könnte man den Wiedereinstieg schaffen, allen Ratgebern und Beschwörungen der Selbsthilfebücher zum Trotz. Im Roman von Anna Weidenholzer „Der Winter tut den Fischen gut“ geht es um Maria, genauer gesagt um Maria Beerenberger, Witwe, arbeits- und kinderlos.

Von Christina Repolust

Strukturlos ist das Leben der Protagonistin, die in einem Mehrparteienhaus wohnt, und unauffällig bis zur Unsichtbarkeit ist, aber nicht. So wechselt sie alle zwei Wochen die Bettwäsche auf ihrer Seite des Doppelbettes, die Bettwäsche auf Walters Seite ist nur alle vier Wochen „dran“. Schließlich liegt Walter auf dem Friedhof. Still – in Jogginghose und Pullover auf dem Sofa liegend - ist er gestorben: „Walter ist ein stiller Mann, der gut isst und viel trinkt.“ Zwanzig Jahre waren Maria und Walter, der verkappte Elvis-Imitator, verheiratet, im Frühling haben sich die beiden kennen gelernt. Der Pfarrer liest bei Walters Beerdigung vom Blatt „Arbeit war sein Leben“. Maria hat zur musikalischen Umrahmung das Lied „Das Leben ist ein Hund, es beißt und hat Flöhe“ gewählt.

Die Autorin lässt ihre Protagonisten Aussagen treffen, die so schmerzhaft banal und niederträchtig sind, dass selbst harmlose Szenen bizarr wirken. Wie gern hat doch Herr Willert, Marias Ex-Chef – seine Zitate begleiten die Hauptfigur und die Leser durch den Roman – das Bild beschworen, dass „die Letzte das Licht ausmacht“. Maria Beerenbergers Leben lässt sich in „die Zeit bei Willert“ und die „Zeit nach Willert“ einteilen, also in „berufstätig“ und „arbeitslos“. Immer „wenn der Tag erledigt war“, genoss es Maria, die brave, pünktliche Boutiquenverkäuferin einst, das Licht in Willerts Boutique auszumachen.

Selbst die Kündigungsszene gestaltet die 1984 in Linz geborene Autorin so subtil, dass sie keinen Ausreißer in dieser herausfordernd flachen Spannungskurve darstellt: Willert kündigt Maria, überredet sie, ihre Unterschrift unter „Einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses“ zu setzen. Wie sähe es denn aus, gekündigt worden zu sein!

Maria hält sich aufrecht, schreibt Listen, überlegt, ein elektrisches Grablicht für Walter zu kaufen, spielt die Kündigungsszene immer wieder durch, außer sie züchtet gerade Kaulquappen, da muss sie konzentriert vorgehen. Die stillen Gedanken der Arbeitslosen werden von den schnellen Sagern der Umwelt durchbrochen. Sie alle reden vom Neuanfang, Willert gleich nach der Kündigung, die diversen Berater beim Arbeitsmarktservice und der eigene Schwager zu Weihnachten. „Niemand wird einfach so gekündigt, irgendetwas hat man falsch gemacht“, dieser Satz wird einmal ausgesprochen und zwischen den Seiten immer wieder gedacht. Diese Kurzszenen werden auch in der Rückschau nicht versöhnlicher, Weidenholzer liegt das Weichzeichnen, das Erläutern sowie das Anklagen fern. Sie bildet ab, was ist, was sein könnte, was eine Frau träumt, wenn sie den Satz zu hören bekommt: „Wir müssen uns die Frage stellen, was Ihre Defizite sind.“

Sie setzt im Text klare Akzente, gesteht ihrer Heldin auch den Konjunktiv zu, lässt sie sich in die Schlagertexte von früher hineinträumen, die noch immer vom Bett im Kornfeld erzählen. Da sind sie, die Träume einer jungen Frau, die so schnell Sonnenbrand bekam und auch sonst dünnhäutig zu sein schien.

Akribisch geschilderter Alltag, der aus der Reihe der Geschäftigkeit fällt; der Zeit hat, ins Stiegenhaus hineinzuhören, auf der Bank zu sitzen und die Menschen mit ihren kleinen Notlügen zu beobachten. „Ich bin“ und „ich bin immer noch“ so klingt der frühe Widerstand der Kindheit, das aktuelle Überlebensmantra Marias, der von den Beratern gesagt wird: „Mit jedem Tag Arbeitslosigkeit verlieren Sie an Wert.“ Das Leben ist ein Hund!

Anna Weidenholzer: Der Winter tut den Fischen gut. Roman. Residenz Verlag, St. Pölten, 2013. 240 Seiten, 21,90 Euro.
Bei den Rauriser Literaturtagen von 3. bis 7. April liest Anna Weidenholzer am 4. April auf der Heimalm aus ihrem Debütroman. Mit „Der Winter tut den Fischen gut“ war sie für den Leipziger Buchpreis 2013 nominiert und wurde sie Siegerin des Online-Votings.
Bild: Residenz Verlag/Lukas Beck

 

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