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BUCHBESPRECHUNG / ROCHUS GRATZFELD / MULTI-KULTI
04/04/12 Ein wenig kokett nennt er sich „Migrant“, aber es stimmt natürlich: Rochus Gratzfeld ist aus dem Ruhrpott nach Salzburg gezogen, in die Elisabethvorstadt. Deutsche „Migranten“ landen für gewöhnlich in nobleren Salzburger Stadtteilen.
Von Reinhard Kriechbaum
Im Bahnhofsviertel hat es Rochus Gratzfeld im Alltag mit Migranten zu tun, die deutlich weniger angesehen sind als er, der Dauergast aus Deutschland. Mit dem von ihm fotografierten und getexteten Foto-Essay „Multi-Kulti“ will uns Gratzfeld vorführen, dass das ungerecht und das Leben im multiethnischen Pott Salzburgs ein höchst anregendes sein kann. Nirgends anderswo wolle er leben, „zu provinziell wären mir die anderen Bezirke“, schreibt er einleitend. Und spätestens nach der letzten Seite glaubt man's ihm.
Beim Einkaufen, beim Spazierengehen beobachtet Rochus Gratzfeld sein buntscheckiges dezentrales Salzburger Lebensumfeld. Das Schließen von Kontakten ist ihm wichtig, und so kommt es, dass er nicht nur bei „seiner“ türkischen Greißler-Familie daheim eingeladen war. „Österreich ist ihnen heute Heimat, die Türkei Urlaubsland.“ Auch die Imbissstube „Zanetti“, dier dem Namen nach so italienisch klingt, wird von einem Türken geführt, und eine türkische Backstube gibt es natürlich auch im Grätzel. Und einen Fleischhauer. Dessen Erzeugnisse sind „halal“, also von geschächteten Tieren. Sogar darüber kann man, wie der Autor zeigt, vorurteilslos reden.
Den Asia-Shop betreibt ein afghanischer Flüchtling, Der Chef des Friseurladens Gürel ist längst so gut integriert, dass er eine Funktion bei der Innung innehat. Den Copyshop führt ein junger Mann aus Pakistan, Schuster und Schneider sind Türken, aber der Fahrradmechaniker hört auf den Namen Otto Koch. „Eingeborene“ gibt es nämlich auch noch hier. Und die fallen ebensowenig auf wie die „anderen“. Übrigens: Die Adressen der Geschäfte verrät Rochus Gratzfeld nicht. Wer es ihm gleichtun möchte und diese Gesichter Salzburgs kennen lernen, der muss es dem Fotografen und Autor schon gleich tun und durch die Gassen der Elisabeth-Vorstadt streifen.