Japanpapier auf dem Rauriser Altar
BUCHBESPRECHUNG / ARS SACRA
24/12/10 Hat man zu Gunsten der Straße ein Stück Kirche abgeschnitten - oder hat das schon immer so ausgeschaut? Die Frage drängt sich jedes Mal auf, wenn man auf dem Weg von Salzburg nach Hallein kurz nach Kaltenhausen an der „Leprosenhauskapelle“ vorbeifährt. Das vernachlässigte Kirchlein, deren Tor heute weit unter Straßenniveau liegt, beherbergte einst einen wahren Schatz.
Von Heidemarie Klabacher
Die Heiligen drei Könige machen dem Jesuskind ihre Aufwartung - mit aller Pracht des Morgenlandes nach neuester Rittermode gewandet. Der Schellengürtel und die geriebenen Beinschienen des jüngsten Königs etwa entsprechen durchaus den Designer-Klamotten eines heutigen Society-Schönlings. Die Anbetung der Könige auf dem „Halleiner Altärchen“ fand zwar zu Christi Geburt statt, ihre königlichen Gewänder freilich sind gute 1500 Jahre jünger: Die Dargestellten seien in der „prunkvollen zeitgenössischen Mode der Herrschenden späten Mittelalters“ gezeigt, schreibt Renate Wonisch-Langenfelder in ihrem Beitrag. Dem „Halleiner Altärchen“ ist im gewichtigen Band „Ars Sacra. Kunstschätze des Mittelalters aus dem Salzburg Museum“ ein ganzes Kapitel gewidmet. Heute seien von der Ausstattung der Leprosenhauskapelle nur mehr Reste der Fresken aus dem 15. und 17. Jahrhundert übrig. Erhalten geblieben sei der Originalaltar.
Wie kommt dieser von Hallein nach Salzburg? „Das Altärchen wurde 1858 einige Jahre nach der Gründung des Städtischen Musuems (1834) erworben. Im ‚Jahres=Bericht des vaterländischen Museums Carolino-Augusteum der Landes=Hauptstadt Salzburg für das Jahr 1858’ ist nachzulesen: ‚Eine ganz besondere Zierde erhielt unsere Sammlung altdeutscher, christlicher Kunstdenkmale durch die Erwerbung des aus dem Leprosenhause in Hallein stammenden altdeutschen Flügel=Altars, welchen…“
Bis zur Kreuzspinne (Christussymbol) im Dachgebälk des Stalls zu Bethlehem dechiffriert Wonisch-Langenfelder ein Kunstwerk, von dem die meisten Salzburgerinnen und Salzburger vermutlich nicht einmal mehr wissen, dass es existiert. Umrahmt wird die Mitteltafel mit der Anbetung der Heiligen drei Könige links vom Heiligen Martin, dem (ebenfalls prunkvoll herausgeputzten) Patron der Aussätzigen, Armen und Bettler, und rechts von Johannes dem Täufer auf (möglicherweise) heimischem Marmor: „Beweist der rot-weiß gefleckte (Adneter) Marmorboden unter seinen Füßen, dass der Altar im Salzburger Land entstanden ist?“ Völlig egal. Dankbar ist man für die Geschichte der Kirche, die feine Beschreibung des Altars - und das moderne Foto „Ansicht der Leprosenhauskapelle von Nordosten“, die das Bild von einer von der Straße kastrierten Kirche ein für alle Mal bereinigt.
„Ars Sacra. Kunstschätze des Mittelalters aus dem Salzburg Museum“ ist kein „Katalog“ zur derzeit gezeigten Ausstellung im Salzburg Museum mit dem selben Titel. Der gewichtige von Peter Husty und Peter Laub herausgegebene Band ist vielmehr eine Dokumentation der bedeutendsten geschlossenen Sammlung zum Thema Salzburg im Mittelalter. Der Band ist nach Sachgruppen gegliedert: Altar, Tafelmalerei, Skulptur, Kunst und Handwerk, Buch und Schrift, Glasmalerei, Wandmalerei und Geld sind die thematischen Blöcke, die auch den Bereichen in der Ausstellung entsprechen. Die Werke werden nicht allein nach kunsthistorischen Kriterien vorgestellt. „Es war ein ausdrückliches Ziel, auch einmal die Kunsttechnologie in den Blickpunkt zu rücken und konservatorische bzw. restauratorische Aspekte ausführlich zu dokumentieren“, schreiben die Herausgeber im Vorwort.
Wie spannend diese „materialtechnischen Erörterungen“ auch für den Laien sind, sei am Beispiel des „Rauriser Altars“ gezeigt: Um 40.000 Euro erst jüngst aufwändig restauriert, zieht der „Rauriser Altar“ im Salzburg Museum den Blick beinah magisch auf sich. Der petrolblaue Grund hinter dem vergoldeten Schleierbrett ist besonders auffallend. Hier haben die Restauratoren ein Meisterstück geliefert: Dieser Hintergrund ist nicht aus Holz, sondern aus Papier. Um dieses, wie üblich von der Rückseite her zu restaurieren, hätte man das Schleierbrett ausbauen müssen. Das wäre zu riskant gewesen. Also wurde jeder einzelne Schnörkel zwischen den geschnitzten Ranken von vorne mit („jederzeit reversiblem") Japanpapier kaschiert. Ein unglaubliches Blau für unglaubliche Transzendenz - ganz ohne Lapislazuli...
Auch zahlreiche Details , wie etwa die Adern auf dem Körper des Gekreuzigten oder die die Blumen auf dem Obergewand Marias (es ist ein Passionsaltar) seien ebenfalls erst durch die Renovierung wieder sichtbar geworden, erzählte Erich Marx, der Direktor des Salzburg Museum, bei der Pressepräsentation. Nachlesen und („vor Ort“) lesend vergleichen lässt sich das alles nun im der inhaltlich unschätzbaren und preislich erstaunlich günstigen Dokumentation.