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Frischgeborenes und Erwürgtes

BUCHBESPRECHUNG / HELENA ADLER / MISERERE 

20/11/24 Wenn die Pferde schimmeln, die Reue räudig ist und der Korruptions-Schweinsbraten vom sexuell übergriffigen Bürgermeister serviert wird, dann weiß man, man steckt in einer Geschichte von Helena Adler. Ihre letzten drei Texte sind ebenso sprachgewaltig, spöttisch und schlagfertig wie ihre Romane.

Von Christina König

Helena Adler ist bekannt als Provinzautorin, die der Provinz den Kampf ansagt – und ihn lachend gewinnt. Das Landleben malt sie als aberwitziges Höllenszenario, in dem der Nachtisch nach Frischgeborenem und Erwürgtem riecht, so wütend, frech und assoziationsfreudig, dass es kein Wunder ist, dass sie es zweimal auf die Shortlist des Österreichischen Buchpreises geschafft hat. Adler ist Anfang 2024 verstorben. Ihre letzten abgeschlossenen Texte sind nun in dem schmalen, ebenso leichtfüßigen wie schwergewichtigen Band Miserere veröffentlicht – und wecken Bedauern, dass es tatsächlich die letzten bleiben werden.

Ihren Romanen Die Infantin trägt den Scheitel links und Fretten am ähnlichsten – sowohl inhaltlich als auch stilistisch – ist die erste Geschichte Ein guter Lapp in Unterjoch. Gewohnt gekonnt fetzt Adler das Bild einer Gemeinde am Fuß der Goldberggruppe hin, wo so einiges im archaischen Argen ist. Da vergeht sich der Bürgermeister an seiner zukünftigen Schwiegertochter Maria, das „unausweichliche Schicksal eines hiesigen Mädchens“, da sind alle so weit verwandt, dass es bei Hochzeitsgesellschaften keine Nachnamen auf den Tischkärtchen braucht, da sagt man „Neger“ und meint das auch so. Der Protagonist Josef ist ein Maurer, der „gute Lapp“, der alles richtet, ein „Alltagsgegenstand, den niemand vermisst“, der nur den Rohbau von Häusern macht und fürs Innenleben nicht zuständig ist. Von all den Zumutungen hat Josef schon einen Tumor. Geschickt verkehrt Adler alles ins Gegenteil, Josef wirft seinen Betonmischer noch einmal an, aber leitet die Rohre dorthin, wo sie nicht hingehören. Und das religiöse Ritual der Hochzeit wird zu Josefs und Marias Flucht – die Namen sind bestimmt nicht zufällig gewählt. Adler bleibt dabei: In der Albtraumprovinz kann man nicht gesund leben.

Allegorischer wird die letzte Geschichte Miserere Melancholia, die Adler beim Bachmann-Preis 2023 gelesen hätte. Sie beschreibt das Leben und Sterben mit ihrem ständigen Begleiter, der Schwermut, die zwar nicht so direkt bezeichnet wird, dafür aber mehr kunstvolle Namen erhält als irgendwo sonst. Gnom, eitriges Magengeschwür, Nebenplanet, Eigenschatten, Krematoriumsgarant, das Resultat der Träume, das Relikt der Traumata... Mit dieser Schwermut unterhält sich die Ich-Erzählerin. Sie kann nicht mit ihr, aber ohne sie kennt sie nicht. „Ich dachte, du hasst mich. Ja, aber mit einem S, du Analphabet! Ich hab dich. So, wie man eine Krankheit hat.“

Weder die literarische Auseinandersetzung mit dem Landleben noch die mit psychischen Krankheiten sind an sich etwas Neues. Was Adlers Texte so besonders macht, ist ihr Schreibstil. So wild, bildlich und unverschämt wie Adler tritt wohl niemand den eigenen Dämonen entgegen. Ihre Sätze scheinen zu mäandern, finden aber präzise von einem Wortspiel zum nächsten und führen die Leser genau dorthin, wo sie hinsollen – und auch hinwollen. Adlers Assoziationstalent ist ungeschlagen. Da hüpft sie vom Rohbau zur Rohkost, da wird Schwarzpulver in Rohre gestopft wie Viagra in den Mund, da wird die Ich-Erzählerin über niedrige Hemmschwellen getragen, da werden Zugtiere eingespannt und die Braut pflügt und zieht Karren und wird gemolken. Alles, was gleich klingt, wird verbunden, der Zwerg mit dem Zwielicht, der Höllenherrscher mit dem Höhlenforscher, der Elfenbeinturm mit dem Faulturm. Es ist ein schmaler Grat zwischen reiner Wortspielerei und tatsächlicher inhaltlicher Verknüpftheit, aber Adler balanciert elegant über ihn und grinst dazu noch frech.

Das Ende von Miserere Melancholia deutet düster auf das Ende eines Lebens voraus. Die Ich-Erzählerin beklagt, wie überdrüssig sie der schmerzlichen Welt ist. Ihre Lebensbilanz: „Nicht gelungen. Durchgefallen.“ Aufgeben wird sie allerdings nicht, und da versteht sie auch die Schwermut nicht. „Dann verneinst du das Leben? Im Gegenteil. Du kapierst es nicht. Ich liebe es und verneige mich davor.“ Am Ende des Textes steht Widerstand. Für eine Autorin wie Helena Adler ist das ein perfekter Schluss.

Helena Adler: Miserere. Drei Texte. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2024. 72 Seiten, 16 Euro – jungundjung.at

 

 

 

 

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