Ein scheinbar unscheinbares Leben
BUCHBESPRECHUNG / ANTON BRUCKNER. EINE BIOGRAFIE
04/09/24 Mozart hat Geld verspielt und ist von der Konkurrenz ermordet worden. Beethoven ist 68 mal umgezogen, wurde wegen Landstreicherei arretiert und sein Kaffee musste aus sechzig Bohnen gemacht werden. Und Anton Bruckner? Er hat komponiert. Lustigerweise interessierten ihn Raub-Mörder-Prozesse. Heute Mittwoch 4. September ist Anton Bruckners 200. Geburtstag.
Von Heidemarie Klabacher
Wenigstens war sein Weg zur Anerkennung steinig, der Kampf um Überleben und Akzeptanz gehörig mühsam. Aber eine Bruckner Anekdote? Nicht einmal zum 200. Geburtstag des großen Oberösterreichers, den die Musikwelt am heutigen 4. September feiert, hat die Musikwissenschaft G'schichtln, Skandale oder auch nur glaubwürdige Fake News aus Upper Austria auszugraben gewusst. Für sein Buch Mensch Bruckner! Der Komponist und die Frauen hat Friedrich Buchmayr auf die Form der fiktiven Dokumentation zurückgegriffen.Wenig Amouröses ist historisch belegt, eine Tendenz zu überhasteten Heiratsanträgen vielleicht.
Bäurisch, unbedarft, später hilflos auf dem glatten Wiener Parkett herumstoplernd: So wird Bruckner seit jeher gezeichnet. Immerhin hat sein Werk polarisiert (ohne dass Hanslick hier weiter bemüht werden soll). „Bruckner ist ein armer, verrückter Mensch, den die Pfaffen von St. Florian auf dem Gewissen haben“, so Brahms, dessen Musik freilich Tschaikowsky wiederum eine „gehaltlose Mischung“ genannt hat: „Es empört mich immer, wenn diese aufgeblähte Mittelmässigkeit für genial gehalten wird.“
Zurück zum Thema. Dass Bruckner auf die Welt gekommen ist, ist zweihundert Jahre nach seiner Geburt unstrittig. Sein Vater, der Schulmeister und Musiker Joseph Bruckner, ehelichte am 4. August 1777 in Ansfelden Franziska Kletzer, die Tochter eines Schulmeisters. Der Ehe enstammten zwölf Kinder, von denen nur vier das Erwachsenenalter erreichten.
In der großen, chronolgisch vorgehenden aber von vielen Exkursen interpunktieren Biografie herausgegeben von Alfred Weidinger und Klaus Petermayr, liest sich das so: „Über Bruckners frühe Jugend ist man dokumentarisch kaum unterrichtet, weshalb hier vorrangig auf seine eigenen, im gesetzen Alter getätigen Schilderungen der Kindheit zurückgegriffen werden muss, die vor allem durch die späteren Biografen August Göllerich und Max Auer überliefert sind. Fest steht, dass er in geregelten sozialen und finanziellen Verhältnissen aufwuchs. Sein familäres Umfeld war von Schule und Kirche, aber auch von Musik bestimmt, die ein wichtiger Teil seines Heranreifens war. So verlief sein Leben genau wie jenes vieler anderer Schullehrersöhne dieser Zeit.“ Soweit so aufregend. „Zu den wenigen belegten Ereignissen in der frühen Jugend Bruckners gehört der Tod seines Großvaters … jener seiner Geschwister und seine Firmung am 1. Juni 1833 in Linz.“ Von Mozarts Firmung war noch nie die Rede!
Beiträge der zur Biografie geschmiedeten Aufsatzsammlung lieferten Friedrich Buchmayr, Roland Forster, Stephan Gaisbauer, Clemens Hellsberg, Andreas Lindner und Thekla Weißengruber. Der Landeshauptmann von Oberösterreich, Thomas Stelzer, schrieb ein Vorwort, was dem Buch aus dem Hause Pustet quasi offiziellen Charakter verleiht. „Bis Ende 1851 kann Bruckner als typischer Lehrer gesehen werden, mit den damals üblichen Nebenverdiensten. Nicht nur im musikalischen Bereich, sondern auch hinsichtlich seiner Karriere als Lehrer, baute Bruckner seine Chancen stehts weiter aus. Offensichtlich wollte er beruflich vorwärtskommen und seine finanzielle Situation verbessern.“ Na so was aber auch.
Wenn man davon ausgeht, dass die am Buch Beteiligten das Beste gegeben und so tief gegraben haben als möglich, ist auch davon auszugehen, dass es einfach nicht spannender war – das Leben des Verehrten. Warum auch. Spannender, abgründiger und raffinierter als seine Symphonien, schöner als seine Motetten kann ohnehin nichts sein. Unzählige Fakten, Daten und Details wurden mit Akribie zusammengetragen. Das ist immer spannend.
Fast in den Rang einer, zumindest der Verfasserin dieser Rezension bislang nicht bekannten, Bruckner Anekdote gehört jenes Urteil eines Wiener Musikkritikers (nicht Hanslick), der das Credo in Bruckners dritter Messe in Anlehnung an Webers Freischütz als „christliche Wolfsschlucht“ bezeichnet hat. Dass Bruckner sich Wagner angehnehm machen wollte, ist bekannt. Dazu eine Tagebuchnotiz Cosima Wagners, der Tochter von Franz Liszt, vom 8. Dezember 1875: „Wir nehmen die Symphonie von dem armen Organisten (!) Bruckner aus Wien vor, welcher von den Herrn Herbeck und anderen bei Seite geschoben worden ist, weil er hier in Bayreuth war, um seine Symphonie-Widmung anzubringen.“ Beim Requiem für Franz Liszt spielte Bruckner tatsächlich Orgel, „allerdings sehr zum Bedauern der trauernden Tocher, denn er improvisiert ausschließlich über Themen aus Wagners Parsifal und findet keinen Liszt'schen Ton dazu“.
Mit viel Geduld finden sich in der großen Biografie von Weidinger/Petermayr tatsächlich auch sehr schrullige Seiten des Jubilars. Im Exkurs „Bruckner bei Gericht“ wird von drei Räubern, Mördern und Heiratsschwinderln berichtet, denen ab 13. März 1884 in Wien der Prozess gemacht wurde. „Diese Nachrichten verschlang Bruckner mit nervöser Gier und es genügte ihm oft das Extrablatt allein nicht. Kam es zu einer Schwurgerichtsverhandlung mit einem Mörder oder zu einer Hinrichtung, konnte Bruckner schon Tage vorher vor Erregung nicht schlafen.“ Bei einer Hinrichtung habe er sogar anwesend sein wollen, was ihm aber ausgeredet worden war. Am 11. Oktober 1896 starb Anton Bruckner. Drei Tage lang sei der Leichnam, nach oberösterreichischem Brauch, in dem Hause verblieben, in dem ihn die Seele verlassen habe. Danach großer Bahnhof von Wien nach St. Florian, wo der Sarg Bruckners genau unter der Orgel aufgestellt wurde.
Alfred Weidinger und Klaus Petermayr (Hg.): Anton Bruckner. Eine Biografie. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2024. 352 Seiten, 30 Euro – pustet.at
Weitere Bücher zum Brucknerjahr aus Salzburger Verlagen:
Friedrich Buchmayr und Felix Diergarten (Hg.): Anton Bruckner & Sankt Florian. Wie alles begann. Verlag Müry Salzmann.
Friedrich Buchmayr: Mensch Bruckner! Der Komponist und die Frauen. Verlag Müry Salzmann
Felix Diergarten: Anton Bruckner: Das geistliche Werk. Verlag Müry Salzmann
Norbert Trawöger: Bruckner! Journal einer Leidenschaft. Residenz Verlag
Karin Peschka: Bruckners Affe. Ein Theater und ein Essay. Otto Müller Verlag
Zur dpk-Besprechung von Bruckners Affe
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