Juche Victoria, excelsis Gloria!
LIEDERBUCH UND CD / SALZBURGER HIRTENLIEDER
21/12/22 Hiasl, Lippei, Stacherl, Jodl – so haben sie wohl geheißen, die „Buama“, die auf Salzburgs Almen auf die Schafe, Ziegen und das Rindvieh aufgepasst haben. Eine ihrer Aufgaben war, Wölfe von den Herden abzulenken. Das erforderte Mut, der ihnen aber gründlich vergangen ist, als plötzlich Engel aufgetaucht sind.
Von Reinhard Kriechbaum
Die waren, wie wir im Lukas-Evangelium (2,8-20) nachlesen können, in beängstigender Überzahl – da ist immerhin von einem „großen himmlischen Heer“ die Rede, das auf ein paar „Hirten auf freiem Feld“ losgelassen wurden. Zähneklappern auf Seiten der Hirten war also nicht weiter verwunderlich. Es ist aber, wenn man die Texte alpenländischer Volkslieder beim Wort nimmt, bald überbordender Ausgelassenheit gewichen: Allgemeines Hüpfen, Springen, Tanzen und Singen war angesagt.
Die Episode im Lukas-Evangelium, die recht anschaulich und wortreich den Aufmarsch der Engel schildert, war ein gefundenes Fressen für die Volks-Poeten. Es ging ja nicht zuletzt darum, biblische Inhalte (wir sind in einer Zeit, da Latein noch alleinige Kirchensprache war) so aufzubereiten, dass das gemeine Volk – darunter nicht wenige des Schreibens und Lesens unkundig – die wesentlichen Inhalte verstehen und verinnerlichen konnte. Wie also die Hirten ihre sieben Sachen packen und sich singend und musizierend aufmachen zur Krippe – das wurde so deftig wie nur möglich ausgemalt. Dass hierzulande an einem 24. Dezember nie und nimmer „Hirten auf freiem Feld“ lagerten und „Nachtwache bei ihrer Herde“ hielten, das hat die Volksliedschreiber nicht weiter gekratzt.
„Mia toans vanemma, dass Gott is kemma!“, heißt es in dem in Abtenau aufgezeichneten Lied Buama, potz schliggra aber erst in der zweiten Strophe. Denn – das ist in vielen dieser Lieder so – meistens sind es nur ein oder zwei Hirten, die auf die Engel aufmerksam werden, wogegen die anderen schlafen und auch ihre Ruhe haben wollen: „Lass erst den Hammer vom Wecker abgeh, aft wern ma woi dann von selber aufsteh'!“
Bleiben wir doch kurz beim Text dieses einen Liedes, das in den 1880er Jahren von den Abtenauer Kirchensängern zum Anglöckeln gesungen wurde. Da erfahren wir auch etwas über die Grundnahrungsmittel, weil die Hirten wollen natürlich nicht ohne Mitbringsel beim Jesuskind auftauchen: „Oa, Schmalz und Henig, is nu viel z'wenig.“ Und weiter: „Woaßt, ned nur heuer, san die Oa teuer“. Die Wertangabe hier: Eier für „fünf Schilling“ sollten für ein göttliches „Oaspeiserl“ reichen. In einem anderen Lied klingt's deutlich kalorienreicher: „Lampi und Kitzl, Semmal und Stritzl“ werden da mitgenommen.
Man könnte die 59 weihnachtlichen Hirtenlieder, die Josef Radauer, wissenschaftlich beraten von Wolfgang Dreier-Andres, im Salzburger Volksliedwerk in Buchform herausgebracht hat, angehenden Volkskundlern ans Herz legen. In Proseminarsarbeiten könnte man schöne Alltags-Geschichten übers Hirten-Leben im 19. Jahrhundert aus den Texten ziehen. „Legt halt a jeder sei Hosn gschwind an, und wer's net findt, lauft im Pfoadei davon.“ Gehen wir mal davon aus, dass nicht nur die Hirten, sondern auch die Engel in einem weißen „Pfoad“ steckten und letztere nicht ihre barocken Figürchen nackig zur Schau trugen. Leider lassen uns diesbezüglich sowohl Bibel als auch Hirtenlieder im Unklaren. Aber eine Pyjama-, pardon, Nachthemd-Party dürfen wir uns schon ausmalen im nächtlichen Bethlehem. Auch eine attraktive Sammlung von Überraschungsrufen und Flüchen könnte man aus den Liedern destillieren, Schlapprawald und Krama-Tanten!
Gut jedenfalls, dass es sie gibt, diese Sammlung von Salzburger Hirtenliedern mit dem Titel Jodl sing, Maxl spring. Es ist kostbares Musikgut, das nicht verloren gehen sollte. Das titelgebende Lied ist übrigens 1884 in Thiersee aufgezeichnet worden, ein paar Kilometer von Kufstein nach Norden – das ist zwar Tirol, gehört kirchlich aber seit je her zur Erzdiözese Salzburg. Der größere Teil der Lieder ist in der zweiten Hälfte, eher gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstmals aufgezeichnet worden. Das ist kein Wunder, denn mit dem politischen Erstarken des Nationalstaats-Gedankens damals hat man viel Energie ins Dokumentieren des Volksguts gesetzt.
Nett auch die Illustrationen im Buch: Es sind Figuren von der Kirchenkrippe von St. Michael am Residenzplatz. Das ist jene, wo der Friedhof von St. Peter als Kulisse für die Geburt Jesu dient.
Jodl sing, Maxl spring. Salzburger Hirtenlieder. Hrsg. vom Salzburger Volksliedwerk in Zusammenarbeit mit dem Salzburger Musikverein, erarbeitet von Josef Radauer – Eine Auswahl von Liedern kann man auf einer CD nachhören, gesungen und gespielt von Mitwirkenden des Salzburger Hirtenadvents – www.salzburgervolksliedwerk.at