Sie waren noch nie in der Psychiatrie?
BUCHBESPRECHNG / HIRSCHL / HUNDERT SCHWARZE NÄHMASCHINEN
21/11/17 Psychische Krankheiten sind nicht ansteckend? Wer den aktuellen Roman von Elias Hirschl, „Hundert schwarze Nähmaschinen“ gelesen hat, wird es nicht mehr wagen, diese Frage mit einem „Nein“ abzutun.
VON VERENA RESCH
„War noch nie in der Psychiatrie ... Leute gibt’s.“ „Hundert schwarze Nähmaschinen“ ist die Geschichte eines jungen Mannes, von allen nur „der Zivi“ genannt, der seinen Zivildienst in einer betreuten Wohneinrichtung ableistet – einer WG für psychisch Kranke. Als hätte der Zivi, der sich mit seiner Freundin im Dauerstreit befindet, mit seinem eigenen Leben nicht schon genug zu tun, ist er nun mit paranoider Schizophrenie, Menschen mit Aggressionsstörungen und deren Selbstmordversuchen konfrontiert.
Schon als er am „1. Oktober im Weltuntergangsjahr 2012“ seinen Dienst antritt, wird er auf den schmalen Grat zur psychischen Krankheit hingewiesen: „Da kann man noch so oft behaupten, dass psychische Krankheiten nicht ansteckend sind – es stimmt einfach nicht.“ Außerdem eine der wichtigsten Lektionen: Die Waschküche, so wie eigentlich alle anderen Räume auch, immer abschließen! Sonst kann es schnell passieren, dass eine nackte Frau Brandner auf einem Waschmittelberg sitzt, sich das Pulver in den Mund schaufelt und dabei fröhlich „Griechischer Wein“ und „Rote Lippen soll man küssen“ trällert.
Stark überzeichnet und mit einer gehörigen Portion schwarzem Humor wird vom Leben in der WG erzählt, von großen und kleinen Marotten der Bewohner, von Absurditäten und Momenten des Alltags – immer darauf bedacht, die Patienten nicht bloßzustellen oder zu verlachen. Dieser sensible Umgang mit den Bewohnern zeigt sich auch darin, dass sie nicht als „Patienten“ bezeichnet werden sondern stets als „Klienten“. Mit viel Einfallsreichtum werden auch die Tagesprotokolle ausgefüllt, wobei immer bedacht wird, nie den vollen Wahnsinn so mancher Situation zu enthüllen, aber auch bloß nicht den Eindruck zu erwecken, man habe sich mit den Bewohnern nicht beschäftigt.
So wird die ewig wiederkehrende Frage von Herrn Schmidt, wann denn der Herbst komme, übersetzt mit „Der äußerst vital und aktiv wirkende Herr Schmidt verbrachte seinen Tag, äußerst vital und aktiv wirkend, in seinem Lieblingssessel und erkundigte sich auf äußerst vitale und aktive Weise nach dem Wohlbefinden von Frau Herbst.“
Der Zivi beginnt schließlich, in einem Notizbuch die Erfahrungen in Form von Kurzgeschichten zu verarbeiten und auch Erklärungsmuster für die Krankheiten der Klienten, die meist in traumatischen Kindheitserfahrungen verwurzelt sind, zu entwickeln. Den hier entstehenden Eindruck, dass Hirschl eigene Zivildiensterfahrungen verwertet, hat dieser bereits in einem Interview bestätigt. Zum Schreibstil des Poetry Slammers gehören zahlreiche Perspektivwechsel und der begeisterte Einsatz von Fußnoten – nicht nur letzteres lässt bei der Lektüre an David Foster Wallace denken, einem der literarischen Vorbilder des jungen Autors. Doch dies sind nicht die einzigen Verweise auf bestehende Traditionen, erinnert doch der Sound mancher Textpassagen über das verhasste Wien frappierend an Thomas Bernhard, den Städtebeschimpfer schlechthin. Höhepunkt ist das Attest, der Zivi sei in seinem tiefsten Inneren ein Wiener „mit einer klaffenden Leere in seiner Brust und einem Buch von Thomas Bernhard anstelle der Seele.“