Busfahrt ins Ungewisse
LAND-KULTURFESTIVAL / SUPERGAU
08/07/20 Wie man von Ortsansässigen hört, ist das Pendeln aus den Schlaf-Orten der Umgebung zur Arbeit in der Landeshauptstadt manchmal eine etwas mühselige Angelegenheit. „Das Überraschende und das Absurde spielen dabei eine besondere Rolle, um neue Routen und Wege ins Ungewisse zu legen.“
Von Reinhard Kriechbaum
Der schöne Satz findet sich aber nicht im Leserbrief eines Berufspendlers, sondern er steht in der Projektbeschreibung von Bustopia 153. Das ist eines der Kunstprojekte, die dieser Tage vom Kuratorenteam um Tina Heine und Theo Deutinger für das neue Kulturfestival Supergau ausgewählt wurde. Wie bereits berichtet, wird es 14. bis 23. Mai 2021 das erste Mal stattfinden, und zwar im Flachgau.
Neue Routen und absurde Wege ins Ungewisse also. Immerhin werden sie nicht ganz schmal und vermutlich asphaltiert sein, denn Peter Fritzenwallner und Wolfgang Obermair werden, „Busstationen und die Innenräume der Busse der Linie 153 von Thalgau über Plainfeld nach Koppl zu Orten performativer und skulpturaler Konfrontation“ machen. Daher auch der Titel Bustopia 153. Hoffentlich bringen die Busbenutzer genug Neugier und Humor auf. Im Regelfall sitzen die wenigsten Leute aus Jux und Tollerei im Bus, eher aus beruflicher Notwendigkeit.
Aber stimmt schon: Manchmal ist auch Zwangsbeglückung eine Option, Leute ran an die Kultur und diese unter die Leute zu bringen. Schon gar, wenn es gilt „tausend Quadratkilometer für zeitgenössische Kunst“ aufzubereiten. So groß ist der Flachgau. Die Formulierung ist nicht uns eingefallen, sie steht so im Titel der jüngsten Presseaussendung zum neuen Land-Kultur-Festival.
Mehr als 280 Künstlerinnen und Künstler haben sich Projekte eingereicht. Für die Jury, bestehend aus den beiden KuratorInnen Tina Heine und Theo Deutinger sowie Gabriele Knapstein, Florian Lösche, Matthias Osterwold, Eva Maria Stadler und Conny Zenk, war eine der Aufgaben „neben den Kriterien der künstlerischen Qualität und Originalität vor die Aufgabe, das Zusammenspiel der ausgewählten Arbeiten im Großraum zu berücksichtigen“. Künstlerisch soll es um interdisziplinäre und partizipatorische Ansätze gehen, inhaltlich auch „um Aspekte von Raumwahrnehmungen, Mobilität und der Erlebbarmachung von Prozessen und kulturellen Produktionen“. Da ist der Weg über den Linienbus so abwegig nicht.
Ein Gaugeläut will der in Linz geborene Georg Nussbaumer und drei mobile Kirchenglocken aufstellen. So soll ein „Klangdreieck von einigen Hektaren“ entstehen. „Das Publikum komponiert aktiv sein Hörerlebnis, indem es im Schallraum dieses Dreiklangs wandert und flaniert.“ Je weiter man von der einen Glocke weg und einer der anderen nahe kommt, ändert sich natürlich was beim Hören. Man tut beim Wandern im hektar-weiten Raum immerhin etwas für seine Gesundheit. Übrigens sind die Kirchen im Flachgau eh so dicht beieinander, dass man das Komponieren schon vorab üben kann.
Spontan lacht uns an, was Anna Adensamer vor hat. Sie produziert fürs Supergau-Festival das partizipative Tanztheaterstück Heilige Scheiße. Ausgehend vom Manifest „Scheißkultur - die heilige Scheiße“ von Friedensreich Hundertwasser entwickelt sie mit der Flachgauer Landjugend Texte, Lieder, Landart, Humuslatrinen sowie „Performances mit Ritual-Charakter“.
Wer immer schon gerne wissen wollte, wie tief der Wolfgangsee eigentlich ist, der ist bei Miriam Hamann gut aufgehoben, denn sie macht eine „ortsspezifische“ Lichtinstallation. Aus der aktuellen Presseaussendung: „Sie greift den tiefsten Punkt des Sees auf und spiegelt diesen über die horizontale Wasserlinie nach oben. Dabei verweist die Installation auf die unergründliche Tiefe, wie auf 114 Meter verborgenen Lebensraum unter der Wasseroberfläche.“ Stimmt schon, für g'standene Landratten sind 114 Meter schon eine ernsthaft untergründliche Tiefe.
So weit jene Projekte, die das Supergau-Kuratorenteam für seine Presseaussendung als repräsentativ gewertet hat. In mehrern Auswahlschritten habe man die Ideen und Projekte der Einreichenden auf siebzig eingedickt und schließlich fünfzehn künstlerische Arbeiten mit über vierzig Mitwirkenden empfohlen.
Wie es nun weiter geht? „Die ersten Gruppen und KünstlerInnen haben Ihre Ortsrecherchen bereits aufgenommen“, heißt es. Von solchen Flachgau-Bereisungen stammen die Bilder auf dieser Seite. Über Recherchen und Projektverlauf wird die Website des Festivals informieren. Vom 24. bis 27. September 2020 werden die Künstlerinnen und Künstler des Festivals erstmals im Flachgau aufeinandertreffen, und da soll auch die bevölkerung Möglichkeiten bekommen, die Leute kennen zu lernen und mit ihnen zu reden.
Tina Heine und Theo Deutinger sehen es als eine Herausforderung, durch die Verknüpfung zwischen den Künstlerinnen und Künstlern und den Initiativen und Vereinen sowie der Bewohner Wirkung über den Festivalzeitraum hinaus zu generieren. Deshalb werde „neben den geplanten Werkstätten und Residenzen im Herbst 2020 und Frühling 2021 das Artist & Resident Programm eine zentrale Rolle spielen“.