Von den Stadtbergen auf die Dreitausender
BUCHBESPRECHUNG / WANDERATLAS SALZBURG
09/06/10 Immer wieder schlägt die Neugier des Journalisten durch, und dann erzählt Clemens M. Hutter in seinem Wanderatlas nicht nur von Gipfeln und Ausblicken, sondern auch von den Dingen, die quasi am Wegrand liegen und genauerer Betrachtung wert sind.
Von Reinhard Kriechbaum
Wie viel Energie liefert eigentlich solche „Mühlen am rauschenden Bach“, wie sie beispielsweise in der Plötz stehen? So einfach ist die Sache: Durchfluss des Wassers in Kubikmetern pro Sekunde mal Fallhöhe des Wassers in Metern mal acht. Heraus kommen PS. Alles klar? Clemens Hutter bringt ein Fallbeispiel, und da kommt heraus, dass sich bei einer durchschnittlichen kleinen Mühle der Energiebedarf von vier zeitgemäßen Haushalten ausgehen sollte. Inklusive Nachtkastl-Licht, um vor dem Einschlafen noch in Hutters „Wanderatlas“ zu lesen. Der Betrieb einer Glühbirne, womöglich gar einer neuen Energiesparlampe, kostet ja nicht die Welt - auch wenn man länger schmökiert.
425 Routen. Nehmen wir mal hypothetisch im Durchschnitt sechshundert Höhenmeter pro Wanderung an – das wären 255 Höhen-Kilometer: Da könnte man also schon auf eine ordentliche Gesamtleistung zurückblicken, wenn man wirklich allen Empfehlungen nachgegangen, nachgewandert ist. Die Notiz-Zeile „gewandert am“ ist jedenfalls bei jedem der Tipps vorhanden und hartt des Leser-Eintrags.
In Zeiten, da von Integration die Rede ist, reizt natürlich ein Ziel wie die „Türkische Zeltstadt“: In der Venedigergruppe fände man sie in 2.400 Metern Höhe – wenn, ja wenn der charakteristische, namensgebende Gletscherabbruch nicht schon gut zwei Jahrzehnte lang weggeschmolzen wäre. Auch dafür hält Clemens Hutter einen anschaulichen Vergleich bereit: Das Obersulzbach-Kees hat seit seinen richtig fetten Zeiten (die waren um 1850) 3,6 Kilometer an Länge verloren, das entspricht einer Milliarde Kubikmeter Eis – oder anders gesagt: Den Wolfgangsee und zusätzlich noch einen oder zwei Alpenvorland-Seen bekäme man locker voll mit dem Schmelzwasser.
„Kulturwandern“ heißt ein eigenes Kapitel – und da mahnt der Autor, Kulturgüter auch wirklich „mit dem Tempo eines Fußgängers aufzunehmen und nicht mit dem PKW-Tempo zu verpassen“. Natürlich sind Mühlen (denen ein eigener Abschnitt gewidmet ist) ebenso „Kultur“ wie mancher bäuerlicher Weiler, von denen uns Clemens Hutter Lintsching im Lungau, Almdorf bei Saalfelden, St. Martin bei Lofer und im tiefen Pinzgau noch Aisdorf bei Niedernsill sowie Dorf bei Hollersbach besonders ans Herz legt. Sowieso nicht weit weg von der Kultur ist man im Rupertiwinkel oder bei einer Wanderung über die Salzburger Stadtberge, die uns zur Sonnenaufgangs-Zeit empfohlen werden: mit Start auf dem dann tatsächlich noch menschenleeren Mozartplatz, „zu dem man am besten radelt“.
Wie viele Kilometer - in Entfernung und Höhe - mag der heuer achtzigjährige Clemens M. Hutter, einst Außenpolitik-Ressortleiter der Salzburger Nachrichten, im Jahr per pedes zurücklegen? Gewiss wäre er um einen anschaulichen Streckenvergleich nicht verlegen, aber er wird es vermutlich selbst so genau nicht wissen. Seine Begeisterung fürs Wandern ist jedenfalls greifbar. Sie äußert sich aber nicht in umfänglichen Wegbeschreibungen, sondern in konzis-kurzen Mitteilungen. Auch das ist eine der Hutter'schen Eigenschaften: Er schwatzt nicht. Umso mehr zu Herzen nehmen sollte man sich das Vorwort, wo Hutter sehr eindringlich gleich vorneweg sehr entschieden die Vernunft beim Wandern einmahnt. Und die ist nicht nur bei jenen sechzehn Routen vonnöten, die auf Dreitausender führen.
Den neuen Wanderatlas werden viele Leute bald als ähnlich unverzichtbar einstufen wie den Band „Stadtwandern in Salzburg“, der ja erst im Vorjahr bei Pustet in neuer Auflage erschienen ist.