Was machten die Keuschler mit dem Rechenpfennig?
HINTERGRUND / LUNGAU / RAINERKEUSCHE
09/10/17 Archäologie ist nicht das Wort, das einem zusammen mit „Bauernhaus“ und „Freilichtmuseum“ spontan in den Sinn kommt. Wird freilich ein Haus aus dem Jahr 1482 abgetragen und an einem neuen Ort, in Großgmain, wieder aufgebaut, sind auch die Mittelalter-Archäologen involviert.
Fünf Archäologen also graben bereits seit zwei Wochen im Inneren eines alten Bauernhauses in Ramingstein, der sogenannten „Rainerkeusche“. Und in der Tat: Alte Ofenkacheln aus dem 17. Jahrhundert, ein Nürnberger Rechenpfennig oder ein Schlüssel für eine Taschenuhr aus dem 18. Jahrhundert sind schon aufgetaucht.
Unter der Leitung des Salzburger Freilichtmuseums, in Kooperation mit dem Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit sowie der Universität Salzburg, ging man ein innovatives Projekt an: Erstmals wird bei der Übertragung eines Bauernhauses in das Freilichtmuseum die Bau- und Nutzungsgeschichte auf breiter wissenschaftlicher Basis und mit modernsten Dokumentationsmethoden erarbeitet.
Die „Rainerkeusche“ nimmt sich als vergleichsweise kleines Wohnhaus in Holzbauweise zwar fast mickrig aus im Vergleich zu stattlichen Gehöften, die im Freilichtmuseum zu bewundern sind. Aber sie ist eines der ältesten datierten bäuerlichen Wohngebäude auf dem Gebiet des Bundeslands Salzburg, das noch in seiner ursprünglichen Dimension erhalten ist. Mittels Dendrochronologische Methoden, mit denen man über charakteristische Jahresringabfolgen im Bauholz das Fälldatum der Bäume bestimmen kann, ist man auf das Jahr 1482 gekommen.
Mit einer mehr als 500-jährigen Geschichte bietet die „Rainerkeusche“ also gute Möglichkeiten, die Nutzungen eines solchen kleinbäuerlichen Anwesens und damit die Lebensumstände seiner Bewohnerinnen und Bewohner vom Spätmittelalter bis in die jüngste Zeit nachzuzeichnen. Die wissenschaftlichen Voruntersuchungen werden vom Bundesdenkmalamt, Abteilung für Archäologie, sowie mit Geldern des Freilichtmuseums finanziert.
Während die restauratorischen Befundungen bereits Ende September abgeschlossen wurden, laufen in diesen Wochen die archäologischen Untersuchungen im Inneren des Hauses. Schicht für Schicht werden die Fußböden sowie die im Boden erhaltenen Reste älterer Einbauten abgetragen und mit den Erkenntnissen aus der bauhistorisch-restauratorischen Analyse in Beziehung gesetzt.
„Dass hier erstmals die bauhistorischen Untersuchungen im Vorfeld und als Begleitung der Abtragung dieses Bauernhauses vom Salzburger Freilichtmuseum gemeinsam mit Archäologinnen, Restauratoren und dem Bundesdenkmalamt durchgeführt werden, führt den Erkenntnisgewinn zu einer völlig neuen Qualität“, freut sich Michael Weese, Direktor des Salzburger Freilichtmuseums. „Diese Analysen lassen uns nun noch tiefer in die Lebensgeschichten vergangener Jahrhunderte blicken, werfen aber gleichzeitig auch neue Fragen auf.“
Denn schon zeichnen sich erste überraschende Ergebnisse ab: Während die Bezeichnung „Rainerkeusche“ sowie die archivalische Überlieferung eher auf eine Behausung für Personen aus den unteren sozialen Schichten auf dem Land, wie einfachen Land- oder Waldarbeitern, schließen lässt, zeigt die Ausstattung der Stube mit mehrphasigen farbigen Schablonenmalereien, dass zumindest in der Wohnkultur versucht wurde, an die Standards höherer Bevölkerungsschichten anzuschließen. Darauf lassen auch entsprechende Funde, wie Fragmente von Mineral- oder Heilwasserflaschen des 19. bzw. frühen 20. Jahrhunderts oder ein Schlüssel für eine Taschenuhr schließen.
Auch für das 17. Jahrhundert liegen Fundobjekte vor, die für einen Sinn für Wohnkultur sprechen: Fragmente von Ofenkacheln mit Hirschdarstellung lassen auf einen Stubenofens mit repräsentativer Ausstattung schließen. Und dann erst der Rechenpfennig aus Nürnberg! Zumindest ein Bewohner muss über komplexere rechnerische Fähigkeiten verfügt haben. Man rechnete mit solchen geprägten, münzartigen Stücken – sie hießen auch Raitpfennig – auf linierten Tüchern, Brettern oder Tischplatten. Also eine Art Abakus. (Landeskorrespondenz/dpk-krie)