Der Noten-Notar schwingt den Taktstock
TV-DOKUMENTATION / RICHARD STRAUSS
13/08/14 Der Dokumentarfilm von Eric Schulz „Richard Strauss – am Ende des Regenbogens“ ist eine schöne Hagiographie zum Strauss-Jahr; ein Beitrag, der zum Nachdenken und Nachforschen einlädt. Das Charisma des Klangmagiers kommt dabei immerhin deutlich zum Vorschein.
Von Gottfried Franz Kasparek
Der alte Strauss in den 40er-Jahren am Pult, in Wien und München. Ein Herr der alten Schule mit Pokerface und mit obligatem Mascherl. „So könnte auch ein pensionierter Notar ausschauen“, meint Stefan Mickisch, einer der Musiker, die mit Witz und Wissen durch den Film führen. Der Noten-Notar schwingt einen Taktstock.
Doch er schwingt ihn nicht wirklich, er benützt ihn für knappe Zeichen und lässt nur selten seine linke Hand blicken. Hin und wieder blitzen eine wenig Schalk oder Stolz aus den hellwachen, beweglichen, das Orchester in den Bann ziehenden Augen. Aufregend ist, wie transparent, klanglich kühn zugespitzt und dynamisch die oft romantisch zerdehnten Tondichtungen unter der Leitung ihres Schöpfers klingen – und einmal betrifft dies auch Mozarts Jupiter-Symphonie, eine absolut „moderne“ Aufnahme.
Das historische Material, zum Teil erstmals zu sehen, ist die eigentliche Sensation des Films. Strauss wirkt auch auf Aufnahmen mit Nazi-Größen oft wie maskiert. Er hatte auch allen Grund dazu, denn sein Verhalten in dieser Zeit pendelte ständig zwischen naiver Begeisterung für die „deutsche Kultur“, pragmatischer Anpassung und dem brieflich dokumentierten Entsetzen über den Ungeist, der herrschte.
Eric Schulz, der schon Berührendes und Erhellendes über Carlos Kleiber und Karajan geliefert hat, hätte gerade, was den politischen Aspekt betrifft, ein bisschen tiefer schürfen können. Immer wieder verblüfft, wie sehr derart hoch gebildete Leute wie Strauss dem Faschismus auf den Leim gingen. Das Problem des Antisemitismus, bei Strauss ein sehr ambivalentes, bleibt leider komplett ausgeklammert. Stefan Zweig kommt einmal als Briefempfänger vor, Hofmannsthal gar nicht. Übrigens auch Salzburg nicht und Wien lediglich als Ort alter Aufnahmen. Allerdings ist es nicht leicht, ein 85jähriges, derart facettenreiches Leben in knappen 100 Minuten zu dokumentieren.
Zumal der Regisseur gerne seine Interviewpartner in der Landschaft und auf stimmungsvollen Spaziergängen durch Strauss-Städte verfolgt, besonders die australische Sopranistin Emma Moore. Sie ist hör- und sichtbar für Lieder von Strauss geboren, ihre leuchtende Stimme samt sagenhaft guter deutscher Artikulation zieht sich als eine Art Leitmotiv durch den Film.
Ihre Lehrerin Brigitte Fassbaender hat ebenso viel Kluges zum Thema beizusteuern wie Straussens bayerischer Landsmann Stefan Mickisch als lockerer und gleichzeitig stets fundierter Vermittler am Klavier, wie der Musikwissenschaftler Walter Werbeck und dessen englischer Kollege Raymond Holden. Klaus König, Solooboist der Münchener Staatsoper, ist ein nicht nur sympathischer und begeisterter, sondern auch ein höchst seriöser Strauss-Kenner und führt unter anderem durch die Villa in Garmisch.
„Am Ende des Regenbogens“ der abendländischen Kultur hat der „griechische Germane“ Strauss sich selbst gesehen. Damit hatte er nicht Unrecht, was den Untergang einer spezifisch deutschen bürgerlichen Kunstausübung betrifft. Am Ende eines Regenbogens der Tonalität befand er sich jedoch ganz und gar nicht. Dies wird auch dann deutlich, wenn Stefan Mickisch die Zwölftonreihe – das „Wissenschafts-Thema“ - aus „Also sprach Zarathustra“ präsentiert. Strauss hat die Sackgassen der Moderne selbst erprobt – und mit seinem Beharren auf tonalen Zentren Recht behalten. Dieser Meinung darf man heute gottlob wieder sein.