Kleine Blumen, kleine Blätter...
NEU IM KINO / AMOUR - LIEBE
21/09/12 Michael Hanekes neuer Film „Amour“ bewegt sich nicht nur weit innerhalb der Grenzen der klassischen Einheiten von Zeit, Ort und Handlung - er kommt auch mit einem Minimum an Worten aus. „Amour“ ist ein berückend perfektes Kammerspiel für zwei überwältigende Schauspieler: Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva.
Von Heidemarie Klabacher
Man begegnet den alten Herrschaften im Klavierkonzert. Musikliebhaber? Die Wohnung deutet auf gebildeten sozialen Hintergrund, die kleinen gelben Bücher im Regal sind keine Reclamhefte, sondern Eulenburg-Partituen. Eindeutig Musikliebhaber. Dass Anne Klavierlehrerin war, erfährt man allerdings erst irgendwann weit innerhalb des Filmes: Der berühmte Pianist, in dessen Konzert man Anne und Georges anfangs gesehen hat, war als Kind ihr Schüler. Und auch das – „Alexandre“ ist übrigens der französische Pianist Alexandre Tharaud - kommt nur beiläufig in beinahe stenografischen Andeutungen zur Sprache.
Michael Haneke, von dem auch das Drehbuch ist, „erzählt“ nicht. Ja, er scheint in „Amour“ weniger erzählen zu wollen, denn je. Die jüngere Frau (Isabelle Huppert) muss die Tochter der beiden sein, das erschließt sich bald einmal; dennoch könnte das erste Gespräch zwischen Vater und Tochter auch der Anfang einer Therapiesitzung sein – so korrekt, ja distanziert wie der alte Mann und die Besucherin miteinander umgehen.
Haneke „erzählt“ nicht, Kameramann Darius Khondji „beobachtet“ die alten Herrschaften nicht - und auch als Zuseher sieht man sich nie in die Position eines Voyeurs gedrängt. Man erlebt einfach mit, wie zwei Menschen um die Würde ihrer letzten gemeinsamen Augenblicke ringen. Scheinbar.
Natürlich macht ein Haneke kein simples trauriges Filmchen vom Lebensende. Immer stärker entwickeln die Szenen späten ehelichen Glücks und aufopferungsvoller Pflege einen geradezu klaustrophobischen Suspense. Die Außenwelt wird zunehmend ausgeblendet. Einmal blickt die Kamera hinunter auf die mäßig belebte breite Straße (sonst ist der düstere geheimnisvolle Lichtschacht die einzige Verbindung nach „draußen“) – und man überlegt, ob das da unten tatsächlich ein „Draußen“ ist, oder ob nicht doch nur ein Film hinter der Gardine abgespielt wird.
Davon, dass man weit über zwei Stunden wie auf Nadeln gesessen ist, zeugt die Erschöpfung am Ende des Films.
Georges und Anne - Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva - sind jedenfalls ein kultiviertes Paar, über Achtzig, einander innig zugetan. Zuneigung und Aufmerksamkeit, Respekt und ironisches Wissen um die jeweiligen Stärken und Schwächen verbinden die beneidenswerten Leutchen in ihrer Pariser Zimmerflucht.
Dann hat Anne beim Frühstück plötzlich einen „Aussetzer“, der den Beginn rasch fortschreitenden körperlichen und geistigen Verfalls markiert. Nach einer – eigentlich simplen – Operation kehrt Anne halbseitig gelähmt nach Hause zurück. Ihrem Mann ringt sie das Versprechen ab, sie nie wieder in ein Krankenhaus zu bringen….
Wie Emmanuelle Riva den Verfall der attraktiven feinen älteren Dame bis zur hinfälligen Greisin und letztlich zur Sterbenden nachvollziehbar macht, ist überwältigend. Jean-Louis Trintignants Darstellung des Georges ist beinahe noch subtiler – erst ganz gegen Ende ist man bereit wahrzunehmen, dass der tapfere alte Herr längst nicht mehr er selber ist.