Im Sommer auf dem Velo
NEU IM KINO / DER JUNGE MIT DEM FAHRRAD
16/04/12 Ein einfacher, aber makelloser Film. Vielleicht der beste über einen Vater, einen Sohn und ein Fahrrad seit Vittorio De Sicas filmgeschichtlichem Meilenstein „Fahrraddiebe“. In einer Laufzeit von nur 87 Minuten enthält er alles, was gutes Kino braucht.
Von Andreas Öttl
Im letztjährigen Wettbewerb von Cannes – und zumindest was das Arthouse-Kino betrifft im gesamten Kinojahr 2011 – standen zwei Streifen im Mittelpunkt des Interesses: Terrence Malicks ambitioniertes Epos „The Tree of Life“ – letztendlich Gewinner der Goldenen Palme – und Lars von Triers „Melancholia“, dem nicht zuletzt aufgrund der skandalösen Pressekonferenz die mediale Berichterstattung sicher war. So etwas verstellt den Blick auf Filme, denen ihrer selbst und nicht wegen der Egomanie der Regisseure Beachtung gebührt hätte.
Entschieden mehr öffentliche Aufmerksamkeit etwa hätte „Der Junge mit dem Fahrrad“ von den Dardenne-Brüdern verdient. Der Streifen kommt nun mit einiger Verspätung endlich in die heimischen Kinos kommt. Er ist eine ihrer bisher besten Arbeiten, damit fast automatisch auch einer der besten Filme des Jahres. Warum dieser kleine große Film in Cannes „nur“ den Großen Preis der Jury gewonnen hat? Die Regie-Brüder haben bereits zweimal die Goldene Palme für sehr ähnliche Filme erhalten. Doch selbst wenn man das Gefühl hat, so eine Geschichte schon einmal gesehen zu haben, so ist „Der Junge mit dem Fahrrad“ dennoch eine Offenbarung. Es gibt eben niemanden, der diese Art von Film besser zu machen verstünde.
Dennoch beschreiten die Dardenne-Brüder diesmal durchaus neue Wege. Es ist ihr bislang optimistischster Film und der erste, den sie im Sommer gedreht haben. Erstmal kommt mit Cecile de France so etwas wie ein Star zum Einsatz und erstmals werden – wenngleich auf eine sehr subtile Weise – entscheidende Momente auch von Musik begleitet. Solch künstliche Dramatisierung war man von den Meistern der Reduzierung bislang zwar nicht gewohnt, dennoch wirkt dies stets stimmig. In jedem Fall bleiben sie sich, ihrem semi-dokumentarischen Ansatz und ihrem Schauplatz – der belgischen Kleinstadt Seraing – treu. Und man sollte auch nicht vergessen, dass ihre bisherigen Werke zwar stets Beispiele eines reinen Kinos darstellten, der Dardenne’sche Blick auf die Wirklichkeit jedoch nie gänzlich ungefiltert war.
Die an eine Fabel angelehnte Geschichte eines allein gelassenen Kindes ist berührend und die Geschichte gleichermaßen rau wie zärtlich inszeniert. Die Schauspieler wirken wie immer absolut authentisch, auch die gebürtige Belgierin Cecile de France fügt sich nahtlos ein in das Dardenne-Universum welches erneut die gesamte Bandbreite menschlicher Emotionen bereit hält.