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Wo Lebensmodelle neu zu denken sind

FILMFESTIVAL RADSTADT (2)

06/11/24 Der Begriff „Heimat“ steht seit langem über dem Filmfestival Radstadt und gibt diesem ein Alleinstellungsmerkmal. Heimat im weitest möglichen Verständnis. Die heuer gezeigten Filme seien ein „Fenster in die Welt und laden uns ein, den Blick über den Tellerrand zu wagen“, sagt Elisabeth Schneider vom Kulturverein Das Zentrum.

Von Reinhard Kriechbaum

Gleich zwei Salzburg-Premieren heute Mittwoch (6.11.), am ersten Festivaltag, im Zentrum am Turm: Johatsu – Die sich in Luft auflösen von Arata Mori und Andreas Hartmann ist heuer beim DOK.fest München als bester Dokumentarfilm gekürt worden. In Japan verschwinden jährlich etwa 100.000 Menschen, einige davon mit Hilfe von Night Moving Companies. Manche fliehen vor unglücklichen Beziehungen, andere ertragen den enormen sozialen Druck nicht, wieder andere versuchen, kriminellen Verstrickungen zu entkommen. Wie geht das und wie sieht der Neubeginn aus?

En Fanfare ist eine französische Komödie von Emmanuel Courcol. Der gefeierte Dirigent Thibaut ist an Leukämie erkrankt und braucht einen Knochenmarkspender. Dabei findet er heraus, dass er adoptiert wurde und einen Bruder namens Jimmy hat, der in einfachen Verhältnissen lebt und Posaune in einer kleinen Blaskapelle spielt. So sozial grundverschieden die beiden sozialisiert sind – die Musik eint. Der Film kommt erst 2025 in die österreichischen Kinos, so wie der Spielfilm Der Lehrer, der uns das Meer versprach von der Spanierin Patricia Font. Eine wahre Geschichte über einen Lehrer, der besonders empathische Beziehungen zu seinen Schülerinnen und Schülern zu knüpfen verstand. Dazu passt gut die bei der Berlinale mit dem Friedensfilmpreis ausgezeichnete Dokumentation Favoriten von Ruth Beckermann über eine Klasse in einer Brennpunktschule. Die Lehrerin Ilkay Idiskut hat es durch diesen Film zu einiger Prominenz gebracht.

Drei Filme kommen direkt von der Viennale nach Radstadt: In ihrem neuen Film Mond thematisiert die gebürtige Irakerin Kurdwin Ayub Frauenleben in unterschiedlichen Kulturkreisen. Samia von Yasemin Samdereli beruht auf der wahren Lebensgeschichte eines Mädchens, das es zur besten Läuferin Somalias gebracht hat. Die Saat des heiligen Feigenbaumes von Mohammad Rasoulof wurde heuer in Cannes mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Es ist eine zornige und unverblümte Abrechnung mit dem Unrechtsregime im Iran, erzählt als brillanter, atemloser Politthriller und verbunden mit authentischen Bildern der Proteste im Herbst 2022. Es ist ein unter schwierigen Umständen entstandener, geheim im Iran gedrehter Film, dessen Wirkkraft so groß ist, dass sich Rasoulof noch kurz vor der Weltpremiere im Wettbewerb von Cannes gezwungen sah, sein Heimatland zu verlassen.

„Mit dem aktuellen Filmprogramm machen wir uns auf den Weg in Länder, in Regionen und zu Menschen, deren Lebensmodelle auf den Kopf gestellt werden, deren Fragen dringende Antworten benötigen, deren Erinnerungen mit uns geteilt werden wollen“, so Festivalleiterin Elisabeth Schneider. In den Filmen spiegle sich, dass gerade die derzeit „herausfordernden Zeiten uns lehren, tolerant, solidarisch und empathisch zu sein“. Das Filmfestival Radstadt präsentiert 38 Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme sowie zahlreiche Salzburg- und Österreich-Premieren.

Ein drängendes Thema spricht Harald Friedl mit 24 Stunden an. Er begleitete für diesen Dokumentarfilm eine rumänische Altenbetreuerin, an ihrem Arbeitsplatz in Österreich und daheim bei der Familie. Barbara Albert, eine der renommiertesten Österreichischen Filmemacherinnen, ist mit ihrem Film Die Mittagsfrau zu Gast und wird ihn persönlich vorstellen. Georg Zeller präsentiert seinen Dokumentarfilm Souveniers of War nicht nur dem Festivalpublikum, sondern auch in einer Schulvorstellung fürs BORG Radstadt.

Die Österreich-Premieren: In Bergfahrt – Reise zu den Riesen dokumentiert der Schweizer Dominique Margot Menschen, die die Alpen erforschen. Mutterland ist ein autobiographischer Film der Italienerin Miriam Pucitta. Erinnerungen an die frühe Kindheit in der Schweiz, wo ihre Mutter Gastarbeiterin war. Ein Programmpunkt gilt Kurzfilmen aus Südtirol. Eine Österreich-Vorpremiere gilt dem originellen Kurzfilm Wagner radelt Bruckner. Der Musiker David Wagner erkundete mit dem Fahrrad Brucknerstraßen, -gassen und -plätze in Oberösterreich und fand deren 72. Er bat Bewohner um Wortspenden und unterlegte das Kaleidoskop mit Bruckners Musik. „Der Bogen der Mitwirkenden spannt sich von Kindergartengruppen über Schulklassen bis zu Profimusikern und – vor allem – Menschen von nebenan, so sie in einer Brucknerstraße zuhause sind“, heißt es dazu.

23. Filmfestival Radstadt, bis 10. November im Zeughaus am Turm – Das Programm zum Downloadwww.daszentrum.at
Bilder: Programmheft Filmfestival Radstadt
Zum Teil 1 Der Literat, seine Ziegen und seine Postkarten

 

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