Als die Bilder tönen lernten
DIALOGE / STUMMFILME
10/05/10 Dass die Junge Philharmonie und die „Dialoge“ der Stiftung dieser Tage Stummfilm-Klassiker mit Live-Musik ausgerechnet zur selben Stunde präsentiert haben, war ein blöder Zufall. Aber: Da liegt etwas in der Luft. Stummfilm und die Musik dazu sind allerorten ein Thema.
Von Reinhard Kriechbaum
Am Sonntag (9.5.) wurde der Große Saal des Mozarteums zum zweiten Mal während des „Dialoge“-Festivals zum Kino. „Das Phantom der Oper“, Rupert Julians 1924 gedrehter Stummfilm-Klassiker mit Lon Chaney in der Hauptrolle, bietet sich natürlich an, wenn eine neue Orgel zur Verfügung steht. Man bäckt bei der Stiftung ja keine kleinen Brötchen: Mit Dennis James hat man den amerikanischen Großmeister der wiederentdeckten Stummfilm-Musik verpflichtet – und erfreulicherweise nicht nur für diesen einen Anlass. In der nächsten Konzertsaison leistet man sich Dennis James gleich für einen vierteiligen Sonntags-Matineenzyklus.
„Das Phantom der Oper“ war im Verlauf der vier „Dialoge“-Tage jener Anlass, zu dem man die Propter-Homines-Orgel von ihrer effektvollsten, klang-üppigsten und zugleich frivolsten Seite hat kennenlernen dürfen. Unter den Fingern von Dennis James verwandelt sich das Instrument unversehens in einen Wurlitzer, der nun wirklich alle Stückerln spielt. Da klingt das Instrument in den Bühnenszenen grotesk wie wie eine Drehorgel, aber über weite Strecken denkt man eher an die große französische Orgelsymphonik. Da scheinen öfters mal Stücke wie die berühmte Widor-Toccata herauszuklingen, wie überhaupt Dennis James aus der originalen (Orchester-)Musik von Sam Perry große „symphonische“ Wirkungen ableitet. Wenn das Phantom schließlich flieht mit der zierlichen Sängerin Christine Daae (Mary Philbin), sie sich in letzter Sekunde aus der Kutsche stürzt und dann der Mob das Phantom in Richtung Seine hetzt: Das ist nicht nur ein cineastischer, sondern auch ein musikalischer Showdown, der seinesgleichen sucht.
Dennis James ist mit dieser Musik und dem Film – in der Schnittvariante von 1929 passt beides auf die Sekunde genau zusammen – seit vierzig Jahren verwachsen. Synchronisation ist da kein Thema mehr. Jede kleinste Ton-Floskel findet das rechte Timing. Die Konditionsstärke dieses Spielers kann man nur bewundern. Er erzeugt ja keine billigen Effekte: Das ist eben durch und durch ein „symphonisches“ Musik-Gemälde (mit mancher Stil-Pointe), das quasi zum Klavierauszug verdichtet und dann der Orgel überschrieben ist: auch fingertechnisch keine geringe Herausforderung.
Entsprechender Jubel also, nachdem das Phantom endlich erschlagen und vor Notre Dame in der Seine versenkt war. Nosferatus Ende in Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm von 1922 ist deutlich weniger spektakulär. Er vergeht als Flamme, nachdem er sich an Ellens Blut gütlich getan und dabei den Sonnenaufgang übersehen hat. Die putzige norddeutsche Stadt Wisborg ist gerettet vor Pest und Vampirbissen, nachdem Ellen sich als „Liebesopfer“ hingegeben hat. Murnaus Film ist von ganz anderer Machart als „Phantom der Oper“. Die Naturstimmungen, das leise Grauen - „Nosferatu“ spricht auf anderer Ebene an, und es sollte eigentlich genug Freiraum bleiben, um über des Regisseurs im Detail nicht wenig ironische Ideen nachzudenken.
Schade, da hat man musikalisch am Freitag (7.5.) aufs falsche Pferd gesetzt. Wolfgang Mitterer hatte gerade für die leise Pointe so überhaupt kein Ohr und hat mit recht platt „konkreter“ elektronischer Musik und einem zusätzlich drüber geschütteten dicklichen Sirup von aufjaulenden Orgelakkorden die Ohren des Publikums zugedröhnt. Ohne akustische Verrschnaufpause.
Immerhin macht so etwas neugierig: Eine neu komponierte Musik, nach bald neunzig Jahren, sollte ja auch ein Kommentar sein. Wie man hört, hat die Musikbiennale für 2011 bereits Kompositionsaufträge vergeben, Musiken für „Nosferatu“ ebenso wie für „Metropolis“. Über die geplanten Stummfilm-Matineen der Stiftung hinaus darf man sich in Salzburg da also noch mehr tönenden Stummfilm freuen.