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Merkatz winkt aus dem Sarg

KARL MERKATZ IM INTERVIEW 2005

07/12/22 Der Tod von Karl Merkatz hat einen Blick ins Archiv nahe gelegt. Werner Thuswaldner hat im Jahr 2005 mit dem Schauspieler ein Interview geführt, als dieser bei den Festspielen viel beschäftigt war. Im Jedermann war er Gott der Herr und Armer Nachbar, und er wirkte auch in Martin Kusejs Inszenierung von König Ottokars Glück und Ende mit. Ebenfalls 2005 ist im Verlag Styria auch Merkatz' Autobiographie mit dem Titel So bin ich erschienen. Es gehe darin nicht bloß um das Theater, sagte Merkatz damals. Das Theater sei zwar das Faktum seines Lebens, aber dazwischen sei noch sehr viel anderes passiert.

Werner Thuswaldner: Fast traue ich mich’s nicht zu fragen: Wirken Sie zum ersten Mal bei den Festspielen mit?
Karl Merkatz: Nein, ich habe schon 1953 während meines Seminarbesuchs in Salzburg bei den Festspielen etwas verdient, mit Statisterie. Und ich war als Requisiteur angestellt und hatte damals als Arbeitsbereich Cosi fan tutte – die Oper hat damals Oscar Fritz Schuh gemacht –, den Freischütz – Lisa della Casa war dabei, Günther Rennert hat inszeniert und Furtwängler hat dirigiert.
Im Freischütz, ich glaub’ es war in der Generalprobe, in der Szene in der Wolfsschlucht, soll die tote Mutter erscheinen. Sie ist aber nicht erschienen an diesem Tag. Sie hatte wahrscheinlich vergessen. Weil ich Bescheid wusste und Alarm geschlagen hatte, setzte man mir eine Frauenperücke auf, zog mir ein weißes Hemd über, und so legte ich mich in den Sarg hinein. In der entsprechenden Szene ging der Sargdeckel auf, ich habe gewunken und der Sargdeckel ging wieder zu. Nach der Probe kam Rennert und fragte: „Wer war heute die tote Mutter gespielt?“ Ich habe mich dazu bekannt, und er sagte: „Sehr gut. Ab jetzt spielen Sie immer die tote Mutter“.

W.TH.: Sie haben das Schauspielseminar in Salzburg absolviert, das damals noch in St.Peter war, und sind dann gleich ans Landestheater engagiert worden?
Merkatz: Nein. Ich hatte mein erstes Engagement in Heilbronn. Ich bin dahin gefahren. Das Theater hatte geschlossen. Es spielte gerade seine letzte Vorstellung auf Abstecher in Neckarsulm. Ich fuhr dahin, aber der Intendant ließ sich nur zögerlich dazu erweichen, dass er wenigstens am nächsten Tag mit mir sprach. Er sagte, dass er mich nehmen wolle, aber nur, wenn ich auch als Inspizient arbeiten würde. Das habe ich dann auch getan. Das Engagement dauerte zwei Jahre.
Der Intendant probte immer intensiv. Es kam vor, dass er, wenn er in Rage kam, in einen Thonet-Stuhl biss. Im zweiten Jahr sagte er zu mir in einer Probe: „Merkatz, Arschbacken zusammen und“, indem er auf den Bauch deutete, „hier heraus aus dem Dschumm!“ Ich ging an die Rampe und sagte: „Arschbacken auseinander und hier heraus.“ Dabei deutete ich auf das Herz. Er war desperat, und alles war aus. Wir sind uns später, weil meine Frau aus Heilbronn stammt und weil wir oft da waren, oft noch freundschaftlich begegnet.

W.TH.: Was kam nach Heilbronn?
Merkatz: Ich hatte nichts und ging nach Wiener Neustadt (der Geburtsort von Merkatz, Anm.) und habe mich sehr bemüht, etwas Neues zu finden, auch in Salzburg, wo damals Klingenbeck Intendant war. Wenn ich in Salzburg leben würde, sagte er, könnte es sein, dass er vielleicht hie und da für mich etwas hätte. So sind wir nach Salzburg gezogen. Ich habe damals gestempelt. 480 Schilling hat man bekommen. Wir sollten in einem winzigen Zimmer gegenüber vom Cafe Bazar wohnen. Die Vermieterin, eine alte Frau, war etwas verwirrt. Ihre eigene Wohnung war angeräumt mit Zeug. Wir waren schon halb eingezogen, als ich die restlichen Sachen auf einem Handwagen über die Staatsbrücke zog und sah, dass unsere Wohnung brannte. Die Feuerwehr war schon da. Noch während es brannte, erschien ein Makler und komplimentierte uns hinaus. Wir waren verzweifelt und saßen am Hintereingang mit unseren paar verbliebenen Sachen. Da war gerade ein Kohlenliferant an der Arbeit und beförderte sackweise Kohle in den Keller. Es sah aus, als würde er dafür sorgen, dass der Brand weitergehen konnte. Die Szene hat uns erheitert.
In einer Baracke an der Alpenstraße haben wir dann eine Unterkunft gefunden, vier mal fünf Meter groß. 400 Schilling kostete die Miete. Schon in meiner Seminarzeit hatte ich Kontakt zu den Franziskanern. Und Pater Ubal war es dann auch, der uns in der Notzeit immer wieder geholfen hat. Einmal kam er mir auf meinem Weg von der Alpenstraße in die Stadt entgegen und sagte: „Gut, dass ich Sie treffe, gerade hat mir eine Frau etwas Geld gegeben, ich soll es jemandem geben, der’s brauchen kann. Es waren 500 Schilling. Viel Geld damals. Unsere ersten Weihnachten verliefen so, dass wir so gut wie gar nichts hatten. Von einem weggeworfenen Weihnachtsbaum nahmen wir uns den Wipfel, am Christkindlmarkt kaufte ich ein paar Tortenkerzerln für zwei Schilling. Ich hatte etwas Geld gespart und konnte davon meiner Frau für acht oder neun Schilling rote Fäustlinge kaufen. So verbrachten wir unser Weihnachten, als es plötzlich klopfte und Pater Ubal mit einem Paket vor der Tür stand. „Mir hat jemand ein Fresspaket geschickt, ich glaube, ihr könnt das brauchen“, sagte er und war schon wieder weg.

W.TH.: Wann kam es dann zum Engagement in Salzburg?
Merkatz: Zu Weihnachten. In meinem Jahreshoroskop stand damals, dass ich nicht viel zu erwarten hätte, dass aber am Ende des Jahres eine Wende kommen werde.
Am Stefanitag kam die Hausfrau und rief mich zum Telefon. Es hieß, dass jemand ausgefallen sei und ich einspringen solle. Es ging um Eisenbahnheiraten von Nestroy. Ich war der Kofferträger, der zwei Koffer zum Bahnhof bringt und sagt: „Da sans die Koffer“. Das wars. (lacht). Ich blieb dann bis 1960, war aber nicht ganz zufrieden, obwohl ich auch schöne Rollen zu spielen hatte. Ich habe mich anderwärtig beworben und wartete vergeblich auf Antwort. Da entschlossen wir uns, nach Australien auszuwandern. Alles war schon vorbereitet. Es war nur noch eine Gesundenuntersuchung ausständig. Die Hoffnung, vielleicht doch noch ein Engagement zu bekommen, blieb aber. Es spitze sich so zu, dass wir sagten: Wenn morgen nichts vom Theater kommt, reisen wir ab.
Am nächsten Tag um halb neun läutete der Telegrammbote. Die Nachricht kam von der Agentur Alois Starker in Wien: ein Zwei-Jahre-Vertrag nach Nürnberg. So ging ich nach Nürnberg, wo ich gut verdient habe. In Salzburg wurde Hellmuth Matiasek damals im Alter von 31 Jahren Intendant. Die Verlockung war groß, mit ihm zusammen – zur Gruppe gehörten damals auch Werner Schneyder, Kurt Weinzierl und andere – engagiertes, neues Theater zu machen.

Weitere Stationen von Merkatz waren dann unter anderen Köln, das Schauspielhaus Hamburg, das Thalia Theater, die Münchner Kammerspiele und Auftritte auf vielen anderen Bühnen, darunter am Volkstheater in Wien, wo Merkatz den Bockerer spielte, der für ihn auch zu einer wichtigen Filmrolle werden sollte. Die Fernsehserie, „Ein echter Wiener geht nicht unter“, brachte es auf 24 Folgen. Der Gefahr, dadurch abgestempelt zu werden, war sich Merkatz bewusst. Axel Corti etwa ließ ihn das spüren. Mit Regisseur Dietmar Pflegerl allerdings erarbeitete er aber weiterhin große Theaterrollen.

Die Bilder auf dieser Seite stammen aus dem Jahr 2005, Merkatz als Armer Nachbar wird bei Jedermann Peter Simonischek vorstellig und bekommt einen Tritt vom gar nicht so Guten Gesellen Tobias Moretti. Das dritte Bild zeigt ihn in der Rolle als Benesch von Diedicz in "König Ottokars Glück und Ende".
Den Traum von Australien, den Traum von einer größeren Freiheit, verwirklichte sich Merkatz auch. Seit den 1970er Jahren bereiste er den Kontinent, zu dem er eine starke Beziehung entwickelt hatte, immer wieder.

Bilder: Salzburger Festspiele / Clärchen Baus-Mattar & Matthias Baus (2); Hans Jörg Michel (1)
Zum Nachruf Mundl, Bockerer – und Gott der Herr

 

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