Leseratte und Bücherwurm
GLOSSE
08/11/12 „Das umgangssprachliche Wort Leseratte bezeichnet scherzhaft jemanden, der gern und viel liest, einen Vielleser, teilweise mit negativem Unterton, da die Leseratte wahllos alles Lesbare ‚verschlingt’.“ So die Gesellschaft für Deutsche Sprache auf ihrer Website. „Leseratte“. Kein schönes Wort. Zu keiner Zeit ein Kompliment. Und jetzt auch noch diese „Brillenratte“ als Sujet der Salzburger Buchwoche. Sind Leser Landplagen?
Von Heidemarie Klabacher
Leser können Denker und Denker können Landplagen sein. Das wäre ja fast ein Kompliment: Leser. Denker. Querdenker – nicht schlecht. Aber dann: Querdenker. Revoluzzer. Guillotine... Der weitere Verlauf der Assoziationskette stimmt bedenklich. Und dann noch die schlecht angepasste rosa Brille. „Brillenschlange“ war mal ein Schimpfwort für Sehbehelfsträger. Ist schon länger her. Aber Leute, die alles durch die „Rosarote Brille“ sehen, gelten bestenfalls als weltfremd, naiv, dumm…
Wie man das Vieh auch dreht und wendet, das Maskottchen der Salzburger Buchwoche 2012 ist inhaltlich anrüchig (Ratten gehen ja nicht nur über Leichen, sie fressen sie auch gerne). Und grafisch ist dieses Logo sowieso nur noch peinlich. Lässt sich ja nicht mal feststellen, aus welcher der vielen Ratten-Arten das vorliegende Exemplar stammt. Wahrscheinlich aus einer der neun von der Rattenforschung bislang unbeschriebenen Arten.
Das führt zu weit. Zurück auf die Website der Gesellschaft für Deutsche Sprache: „Leseratte ist eines der zahlreichen, als Personenbezeichnungen verwendeten Komposita, die eine Tierbezeichnung als Grundwort enthalten. Weitgehend synonym ist der Bücherwurm, dieses Wort dient allerdings auch zur Bezeichnung des Schädlings, der in Büchern lebenden Larve. Die Übertragung auf den Menschen in der Bedeutung 'eifriger Bücherleser' ist seit dem Ende des 17. Jahrhunderts belegt.“
Als Kompositum (zusammengesetztes Hauptwort wie etwa Land-Ratte) geht der Nager also noch irgendwie durch. Als Simplex („Du Ratte!“) ist er nur noch „ein grobes Schimpfwort“.
Die Ratte verbreitet die Pest und andere modernere Krankheiten. Ratten fressen alles, was ihnen vor die Zähne kommt und sind überhaupt grausig. Manchmal hört man ja, dass es kluge Tiere sein sollen. Aber nur im indischen Karni-Mata-Tempel gilt es, laut Wikipedia, „als glückbringend, wenn einem Besucher eine der ‚heiligen’ Ratten über den Fuß läuft“. Und im Chinesischen Tierkreis steht die Ratte für Kreativität und Intelligenz. Das wollten die Verantwortlichen bestimmt auch ausdrücken, die Vertreter der Fachgruppe Buch- und Medienwirtschaft der Wirtschaftskammer Salzburg, mit ihrem rosabebrillten Vertreter der Gattungsgruppe Rattus.