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Die große Gereiztheit

STICH-WORT

02/08/19 „Was lag in der Luft? - Zanksucht. Kriselnde Gereiztheit. Namenlose Ungeduld. Eine allgemeine Neigung zu giftigem Wortwechsel. Zum Wutausbruch, ja zum Handgemenge. Erbitterter Streit, zügelloses Hin- und Hergeschrei entsprang alle Tage zwischen einzelnen und ganzen Gruppen...“ So geht es zu bei Thomas Mann nach bald sieben Jahren des großen Stupfsinns auf dem Zauberberg.

Von Heidemarie Klabacher

So geht es aber auch zu bei den Festspielen, im hochkulturellen Epizentrum der Feinen und Reichen, der Gebildeten und Schönen. Wir lesen heute Freitag (2.8.) in der Zeitung, dass ein Tenor, der vor Beginn des Abends sich vom Veranstalter als indisponiert entschuldigen lässt, ausgebuht und beschimpft wird. (DrehPunktKultur war in der Premiere der konzertanten Aufführung von Adriana Lecouvreur, da waren alle, inklusive Anna Netrebko gesund.)

Wir hören, ebenfalls heute Freitag (2.8.), von einem Kritiker, dass er bei der Premiere der Sommergäste auf der Perner-Insel mit korrekter Pressekarte das Pech hatte, auf einem Platz zu geraten, der offensichtlich versehentlich AUCH korrekt verkauft worden war. Blöd für jeden, dem das passiert. Und es passiert auch auf die Überfülle an Karten gerechnet eigentlich nie: In Presse- wie Kartenbüro arbeiten rund um die Uhr Profis.

Die Damen in der Umgebung des besagten Sitzplatzes hätten den Fall sofort in die Hand genommen, hören wir staunend: Die Stimmung habe sich sofort, obwohl es nichts zu beanstanden gab, gegen ihn gewandt, schildert der Kritiker ein Festspielerlebnis der dritten Art. Der Verdacht, dass es sich bei ihm um einen Betrüger, einen Schwindler, einen Hochstapler jedenfalls handle, sei sofort im Raum gestanden. Vor der Gefahr, gelyncht zu werden, habe ihn eine herbeieilende junge Vertreterin des Personals bewahrt, die ihm einen Ersatzplatz zugewiesen habe. Das wäre auch ohne Aggression so ausgegangen. „Das Erstaunliche daran war, wie schnell die Emotionen hoch gehen können und wie wenig der eine oder die andere sich bemüht, seine oder ihre Bösartigkeit zu verbergen.“

Thomas Mann scheint sich an besagten Damen ein Bild aus der Zukunft geholt zu haben: „Und das Kennzeichnende war, daß die Nichtbeteiligten, statt von dem Zustande der gerade Ergriffenen abgestoßen zu sein, … sympathetischen Anteil daran nahmen und sich dem Taumel innerlich ebenfalls überließen. Man erblaßte und bebte. Die Augen blitzten ausfällig, die Münder verbogen sich leidenschaftlich. Man beneidete die eben Aktiven um das Recht, den Anlaß zu schreien. Eine zerrende Lust, es ihnen gleichzutun, peinigte Seele und Leib, und wer nicht die Kraft zur Flucht in die Einsamkeit besaß, wurde unrettbar in den Strudel gezogen...“

Das ist aus dem vorletzten Kaptiel von Thomas Manns 1924 abgeschlossenen Roman Der Zauberberg und dieses vorletzte Kapitel heißt Die große Gereiztheit. Es folgen - im letzten Kapitel Der Donnnerschlag - Untergang und Krieg.

Zitiert wurde aus Thomas Mann, Der Zauberberg, Band III der Gesammelten Werke in dreizehn Bänden im Fischer Verlag 1990.

 

 

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