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Haus- und Suppensprache, die vermaledeite …

FESTSPIELE / HANDKE / IMMER NOCH STURM

14/08/11 Vier Stunden ist man bereits mürbe gesessen, da holt Peter Handke aus zur Ur-Abrechnung mit der jüngeren österreichisch-slowenischen Zeitgeschichte. Und darüber hinaus drängt sich dem Publikum auf der Pernerinsel eine Grundsatzfrage des deutschen Theaters auf: Wieviel Jens Harzer erträgt der Mensch?

Von Reinhard Kriechbaum

Wieviel Jens Harzer also geht nach 23 Uhr, auf (schon wieder) nüchternen Magen? Und wie viel Jens Harzer geht ohne Regisseur? Denn Dimiter Gotscheff vermutet man - die Zeiger ziehen unaufhaltsam der Mitternacht entgegen - schon beim Chill out. Wahrscheinlich sitzt er irgendwo bei einem Bier. Eine Abrundung der Aufführung mit viereinviertel Stunden Netto-Spielzeit hat ihn, so scheint’s, nicht mehr interessiert.

„Immer noch Sturm“ geht also nicht wirklich zu Ende. Das am Freitag (12.8.) uraufgeführte Stück versickert. Erst begehrt Jens Harzer mit geballten Fäusten und gefletschten Zähnen auf, dass einem Angst und Bang wird. Dann verhaspelt er sich so oft im (zugegeben: komplizierten) Text und verliert so sehr an Spannkraft, dass er und das Publikum schlicht aufgeben. Nur noch raus! Das haben einige Zuschauer tatsächlich so gehalten, und sogar ein paar Handys haben die Nerven weggeschmissen und ungeduldig Laut gegeben.

In dieser End(los)phase geht nichts mehr. Man hat den eiskalten preussischen Sprechton dieser Aufführung über. Man ist es leid, nach vier Stunden pausenlos vom Himmel gefallenen grün-gelben Blättern noch weiter auf den Blätterhaufen zu schauen, der uns als Symbol, Metapher oder auch nur als Poesie verkauft werden soll. Und man hat auch die Figuren über, die schlichten Bauern und Handwerker, die in gestelzten Phrasen erklären, was sie fühlen und jetzt zu tun gedenken – und das dann auch prompt tun.

Das jeder einzelne Satz auf Kothurne aufgebockt wird – das ist freilich nicht die Schuld von Peter Handke. Sein Text wäre fein und duftig, unprätentiös hintersinnig, leicht querständig und vor allem unaufdringlich. Hinter drei Sätzen Handke steht mehr Weltsicht als hinter ganzen Stücken all der Fosses und Schimmelpfennigs, die sich heutzutage auch so gerne Monologe ausdenken, die dann erst auf der Bühne Fleisch und Blut bekommen müssen. Das hält Handke übrigens seit je her so, er ist schon immer einer vom heutigen, modernistischen Theater.

Von der Pernerinsel ist zu berichten, dass die Figuren nicht Fleisch und Blut bekommen, sondern erbarmungslos abgespeckt und ausgesogen werden. Aus hinter- und tiefsinnigen Charakteren macht Dimiter Gotscheff bloße Bühnengestalten. Erstaunlich, dass sich dann doch phasenweise die Handke’sche Sprachkraft durchsetzt.

Ein „Ich“ also auf der Bühne, „allein auf der Bank im Jaunfeld“ (die ein mickriger Hocker ist), unter einem Baum mit „ungefähr 99 Äpfeln“ (und Millionen Blättern, die Bühnenbildnerin Katrin Brack regnen lässt). Ein Ich ist nichts ohne Geschichte, ohne Altvordere. „Ich möchte eure Totenköpfe streicheln“, heißt es einmal. Die Ahnen lassen sich nicht lange bitten. Sie sind immer zur Stelle, spielen die vom Ich und vom Zuschauer erwarteten Rollen.

Gerechtigkeit für die Kärntner Slowenen ist das Thema, ein gutes, wichtiges, vor allem zeit-nahes Anliegen. Hat man doch bis eben erst vor wenigen Wochen entwürdigend um zweisprachige Ortstafeln gefeilscht und Minderheiten-Grundrechte mit Füßen getreten.

Handke kommt selbst aus diesem Milieu. Er hat die Familiengeschichte recherchiert und – weil eine Slowenensippe allein nie und nimmer taugt für eine differenzierte Sicht auf die Zeitgeschichte – mit der Freiheit des Theaterdichters dazu erfunden und nachgebessert. Unterschiedliche Weltsichten prallen aufeinander. Es gibt einen guten Onkel, der Partisan wird und gegen die Nazis kämpft. Auch eine Tante mit Kommunisten-Hintergrund tut das. Zwei böse Onkels ziehen auf Nazi-Seite in den Krieg und fallen gerechterweise. Die Mutter kriegt ein Kind – das „Ich“ – von einem derer, die im Nazi-Auftrag Ordnung in Kärnten machen sollen. Das sorgt für gewaltige Polarisierung, aber auch Verunsicherung innerhalb der Familie.

Den Vorwurf, ins Schwarzweißmalen gekommen zu sein, kann man Handke nicht ersparen, aber er will damit natürlich auch provozieren. All die Figuren haben ihre Licht- und Schattenseiten – aber sie sind  auf dem Papier interessanter als auf der Uraufführungs-Bühne.

Tilo Werner spielt die (erfundene) Rolle des Gregor: der Apfel-Philosoph mit rotbäckigen Metaphern zum Hineinbeißen. Von allen Figuren bleibt er die konstruierteste. Bibiana Beglau als Snežena: Die anderen nennen sie „Dunkelschwester“, und sie ist halt wirklich eine Art Kassandra, freilich eine vom Fuß der Saualpe. Man wünscht ihr Gummistiefel, wenn sie im Pathos watet. Oda Thormeyer ist die Mutter, ein Mädchentraum im duftigen Kleid – es ist die Figur, die neben der Großmutter (Musik- und Schrei-geeicht: Gabriela Maria Schmeide) am ehesten die Option auf lebensnahe Charakterzeichnung hat. Hans Löw ist Valentin, der Dandy aus Kärntens Hain und Flur. Heiko Raulin (Benjamin) leidet am meisten unter der plakativen Figurenzeichnung der Regie.

„Das schreit, das krächzt, das wimmert nach Tragödie“: Jens Harzer setzt das, was ein anderer über die Familie sagt, hundertfünfzigprozentig um. So stark wie gewöhnungsbedürftig ist dieser „Ich“, das Alter Ego also von Peter Handke, fordernd-neugierig, bohrend, insistierend, zornig zum Zerbersten. Vor lauter Expressivität lässt Harzer so manchen Satz Handkes wie Luftblasen zerplatzen.

„Haus- und Suppensprache, die vermaledeite …“ – Ein zentraler Gedanke in „Immer noch Sturm“, der leitmotivisch wiederkehrt: Sprache retten heißt Seele retten. Genau der Umgang mit der Sprache wäre mithin die Herauforderung schlechthin bei einer Bühnenumsetzung. Aber die Festspiele haben „Immer noch Sturm“ zur Uraufführung einem Regisseur ausgeliefert, der zwar immer wieder starke Bilder erfindet, für den die Formung der Sprache ganz hinten auf der Liste des zu erledigenden Theaterhandwerks steht.

Weitere Aufführungen am 17., 18., 23., 24., 26. Und 27. August. – Premiere im koproduzierenden Thalia-Theater Hamburg ist am 17. September. – Der Text ist bei Suhrkamp erschienen.
Bilder: SFS / Armin Smailovic (1); Ruth Walz (4)

 

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