Den Chefs tut es „außerordentlich“ leid
FESTSPIELE / SCHAUSPIEL-LEITUNG
28/11/24 Lange war sie nicht Schauspielchefin der Salzburger Festspiele: Der Vertrag mit Marina Davydova wurde „mit sofortiger Wirkung aufgelöst“. Die knappe Nachricht erreichte die Redaktionenam Donnerstag (28.11.) nachmittags, nach der Kuratoriumssitzung.
Von Reinhard Kriechbaum
„Infolge von Verstößen gegen vertragliche Dienstpflichten, insbesondere durch die weder angezeigte noch genehmigte Tätigkeit Marina Davydovas bei einem Berliner Theaterfestival, haben die Salzburger Festspiele das Dienstverhältnis mit Marina Davydova mit sofortiger Wirkung aufgelöst“, heißt es in der äußerst lapidaren Presseaussendung.Stein des Anstoßes war das Festival Voices performing arts in Berlin, bei dem es in der Hauptsache um exilrussische Autoren ging. Also Davydovas Ur-Metier. Sie leitet es gemeinsam mit dem Komponisten Sergej Newski.
Die Beschlussfassung des Direktoriums (Kristina Hammer, Markus Hinterhäuser und Lukas Crepaz) sei dem Kuratorium vorgelegt und von diesem genehmigt worden. „Das Direktorium der Salzburger Festspiele bedauert diese Entwicklung außerordentlich.“
„Als man dies im Dorf erfuhr, war von Trauer keine Spur“, könnte man frei nach Wilhelm Busch den vom Direktorium angedeuteten Krokodilstränen hinzufügen. Die erste und einzige von Marina Davydova verantwortete Saison im vergangenen Festspielsommer war ja nicht gerade eine glückliche fürs Schauspiel. Ihre Bestellung war auch ein politisches Signal: Intendant Markus Hinterhäuser hat sich mit dem fortlaufenden Engagement von Teodor Currentzis keine Freunde gemacht. Der lässt sich ja nach wie vor seine Ensembles Musica aeterna von Russland mitzahlen und hat bisher Stellungnahmen gegen Putin sorgsam vermieden. Da kam also Marina Davydova gerade recht, die sich Von Putins Ukraine-Krieg nicht mehr eigens distanzieren musste. Schließlich ist sie gleich nach Kriegsausbruch aus Russland geflohen, nachdem man ihr – ein unmissverständliches Zeichen – ein „Z“ auf die Wohnungstür gemalt hatte...
Die fachliche Qualifikation für die Leitung des Schauspiels bei den Festspielen war nicht unbedingt das Movens der Einladung an sie. Immerhin: Internationales, auch nicht-deutschsprachiges und vor allem integratives Theater: Damit bewegt sich Marina Davydova im unmittelbaren Strudel des Zeitgeists. So etwas sehen Feuilletonisten immer gern. Die Bühnenrealitäten haben im Sommer dann mit den Vorschusslorbeeren bei weitem nicht Schritt gehalten. Zu den Jedermann-Querelen ist die neue Schauspielchefin freilich wie die Jungfrau zum Kind gekommen und hat sich, als die Absetzung der Sturminger-Inszenierung vor ziemlich genau einem Jahr ruchbar wurde, bei einem Pressegespräch in Wien so wortkarg wie möglich gegeben.
Die weiteren Produktionen des letzten Festspielsommers haben dann wenig Euphorie geweckt. Die Orestie nach Aischylos, Sophokles und Euripides in der Lesart von Nicolas Stemann war bühnenwirksam, modisch – stand aber in der Aussagekraft in keinem Verhältnis zur Überlänge von beinahe vier Stunden. Noch eine gute Stunde länger gesessen ist man bei der litauischsprachigen Dramatisierung von Thomas Manns Zauberberg. Es war eher eine Lektion, dass fremdsprachige Bühnenkunst eben doch an ihre Vermittlungsgrenzen stößt. Wenig ergiebig Tom Luz' Auseinandersetzung mit Zweigs Sternstunden der Menschheit. Dokumentarisches Theater verbunden mit Publikumsanimation in den Spiegelneuronen von Sasha Waltz und Rimini Protokoll. Das Festspielpublikum ist nicht wenig mit- und hergenommen worden. Es waren Rosskuren in Sachen Publikumserziehung.
Kann gut sein, dass Marina Davydova ihre Grenzen selbst erkannt und sich deshalb entgegen den vertraglich festgesetzten Regeln auch und wieder beruflich anderweitig umgeschaut hat. Im Bewusstsein, dass schon größere Kapazunder als Schauspielchefs hierorts keine Ewigkeiten überlebt haben.
Bild: dpk-krie