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Disruptive Eigensinnigkeit

FESTSPIELE / TRIFONOV

29/08/24 Wenn es eine Klammer zwischen den Werken des Abends gibt – wie es sich durchaus anfühlt – ist sie schwer in Worte zu fassen. Der russische Pianist Daniil Trifonov spielte im letzten Solistenkonzert dieses Sommers Rameau, Mozart, Mendelssohn und Beethoven.

Von Erhard Petzel

Jean-Philippe Rameaus Suite a-Moll aus Nouvelles Suites de pièces de clavecin ist ein außerordentlich elegantes Stück Klaviermusik. Die alte Suitenform, wie sie zur Mitte der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bei uns durchaus üblich war, hatte in Frankreich schon etwas Verstaubtes. Die charakteristischen Verzierungen sind beste französische Manier. Aber Melodik, Bewegung, Themenentwicklung und klangliche Raffinesse weisen in Rameaus Musik in Richtung Klassik, ganz besonders die sechs Variationen der finalen Gavotte in ihrer zunächst volksliedhaften Schlichtheit. Vielleicht ist es das raffinierte Spiel mit Kontrapunktik, das alle vier Werke des Abends auf ihre spezielle Art auszeichnet. In Allemande und Courante zunächst nicht brillant wirksam, da Trifonov sich hier in sehr weicher Artikulation ergeht. Erstes Auftrumpfen in der Sarabande. Les trois Mains perlt witzig, Fanfarinette kommt sehr lyrisch, La Triomphante ist ein imitatorisches Gustostückerl. Rameaus Witz käme wohl bei etwas weniger Zurückhaltung mehr zur Geltung.

Da lässt die Interpretation bei Mozarts Sonate F-Dur KV 332 nichts zu wünschen übrig. So elegant und zart das Hauptthema, so impulsiv die Schläge und Gegenakzente in den Zwischenspielen bei perlender Virtuosität. Einem mystischen Adagio folgt ein sehr flottes Allegro (von wegen assai). Mit seiner stupenden Anschlagskultur hetzt Trifonov aber keinesfalls durch seine virtuose Anlage. Mit Mendelssohns Variations sérieuses d-Moll op. 54 bildet der erste Programmteil eine Klammer zu Rameaus Variationen. Auch hier ein kurzes Thema, aber in romantischer Harmonie raffiniert aufgezwirbelt. Die 17 Variationen und das finale Presto haben trotz ihrer Schwierigkeiten nichts gemein mit den damals und bis heute üblichen Virtuosen-Shows, sondern sind dramatisch geschmackvoll strukturierte Charakterstücke völlig unterschiedlicher Agogik und Charakteristik. Sie waren Mendelssohns Beitrag zur Unterstützung für die Errichtung des Beethoven-Denkmals in Bonn. Die Referenz auf das übergroße Vorbild klingt durch.

Dann kommt dieses daher in einem gigantischen Monument: Trifonov brauchts offensichtlich schwer, dann blüht er so richtig auf. Unerschrocken, fast zornig stürzt er sich in die Akkorde der Hammerklavier-Sonate. Geschmeidig vollzieht er die oft abrupten Wechsel in Stimmung und Charakteristik. Die hohen Akkorde klingen gediegen und erstrahlen in der selbstverständlichen Balance zu der Gegenbewegung darunter. Die polyphonen Strukturen kommen anschaulich zur Geltung und bauen sich in disruptiver Eigensinnigkeit auf. Das Extreme des Scherzos wird mit dem ganzen Körper herausgeschleudert. Und dann das Adagio sostenuto! Kristallen hebt sich der hohe Gesang über den organischen Fluss der Grundbewegung. In selbstvergessener Versunkenheit schwebt der Künstler in die Vollkommenheit kindlichen Spiels, frei dahinfließend in der Totalität intrinsischer Aufmerksamkeit. Fast ist es wie freie Improvisation, wie vielleicht Beethoven mit der Idee seines Terzmotivs gespielt haben mag und dabei immer neue Ansätze und Metamorphosen herausfließen lassen konnte, bevor er akribisch den perfekten Guss heraus arbeitete und festhielt. Leider ist nie das ganze Publikum ausreichend konditioniert, sodass die Verzauberung niemals so allgemein ist, dass Störungen aus Konzentrationsschwäche ausblieben. Das Largo als Überleitung zur dreistimmigen Fuge leidet darunter. Diese nimmt Trifonov mit einem Affentempo, was freilich etwas auf Kosten der polyphonen Transparenz geht. Das Publikum zeigt sich derart enthusiasmiert, dass es zu vier artfremden Zugaben vom Revue-Walzer bis zum Ragtime Marke Art Tatum kommt. So schwer kann ein Künstler gar nicht gearbeitet haben, dass die gierige Kulturmeute nicht noch einen Tropfen Herzblut herausquetschen wollte.

Bild: SFS / Marco Borrelli

 

 

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