Die lustvollen Träume im Norden
FESTSPIELE / BALLETT DORTMUND
28/08/24 Alexander Ekmans Ballett Ein Mittsommernachtstraum hat nichts mit Shakespeare zu tun. Das „Midsommar“-Fest, immer ein Samstag zwischen 20. und 26. Juni, ist in Schweden der zweitgrößte Feiertag nach Weihnachten. Ein uraltes, vom Christentum kaum beeinflusstes Ritual sinnlicher Lebenslust. Da regieren quasi immer noch die nordischen Göttinnen und Götter.
Von Gottfried Franz Kasparek
Der Choreograph Alexander Ekman ist ein Meister mit eigener Handschrift, der Traditionen des klassischen Balletts mit modernem Tanztheater schlüssig verknüpft. Das abendfüllende Stück hatte 2015 in Stockholm Premiere und reist nun seit 2019 mit dem Dortmunder Ballett erfolgreich durch die Lande. Die Musik dazu stammt vom 1975 in Halmstad in Schweden geborenen Tausendsassa Mikael Karlsson, dessen kompositorische Palette vom Popsong und von der Videospiel-Musik bis zur Kammermusik und mittlerweile drei Opern reicht.
Er zählt zu jenen Komponierenden der „Nach-Darmstadt-Generation“, die mit Können und größter Selbstverständlichkeit Techniken von der Avantgarde bis zum Techno verwenden und mit einer Art „Fusion Music“ mühelos ein großes Publikum erreichen. Mit Ekman arbeitet er seit vielen Jahren zusammen.
Eigentlich ist es Kammermusik, die dem „Mittsommernachtstraum“ eindringlich zu Grunde liegt. Im Hintergrund der Bühne musiziert, mitunter im häufig auftretenden Nebel sichtbar, ein vom Dortmunder Konzertmeister Alexander Prushinskiy souverän angeführtes Streichquartett mit der famosen Pianistin Petra Riesenweber und dem virtuosen, viel beschäftigten Perkussionisten Alexander Maczewski.
Live-Musik also, wenn auch verstärkt und oft mit elektronischen Klängen ergänzt. Schon beim Betreten des Saal wird man von Vogelgezwitscher empfangen, welches auch die ganze halbstündige Pause lang für fast Messiaen'sche Stimmungen sorgt. Die insgesamt über zweistündige Partitur lässt vor allem im ersten Teil an skandinavische Fiedeltänze denken, deren pulsierender Rhythmus unwiderstehlich mitreißen kann. Erstaunlich, wie gut sich pfiffige Anverwandlungen der Folklore mit harten Beats, groovigen Jazz-Liedern und einmal sogar Klavier-Salonmusik vertragen. Die erste Geige gibt meist den Takt an. Immer wieder erhebt die durch das wilde Geschehen wandelnde Jazz-Sängerin Hannah Tolf ihre bestens fokussierte, hell tönende Stimme. Die Göteborgerin singt in englischer Sprache, während das 34köpfige Ballettensemble auch einmal ein schwedisches Volkslied intoniert und auch sonst um sprachliche, meist deutsche Einwürfe nicht verlegen ist.
Das „Ballett Dortmund“, mit Verve ergänzt durch das „NRW Juniorballett“, erweist sich in seiner tänzerischen Vielfalt als Weltklasse-Ensemble. Zu Beginn liegt ein Träumer genannter Tänzer, der mit Charisma gesegnete Filip Kvačák, im Bett am Bühnenrand. Der Wecker klingelt, es erscheint eine „Hostess“, groß, blond und brillant Daria Suzi, offenbar die Gefährtin des Träumers, den sie zum „Midsommar“-Treiben entführt.
Dieses findet auf offenem Fels statt, auf den und rund um die dort liegenden Strohballen, alle sind in lichtes Grau gekleidet und tragen grüne Kränze im Haar. Die einfache, aber atmosphärische Bühnengestaltung stammt ebenfalls von Alexander Ekman, die kleidsamen Kostüme von Bregje van Balen, das magische Lichtdesign von Linus Fellbom. Alsbald taucht eine „Majstång“ auf, die schwedische Variante des Maibaums. „maja“ heißt allerdings „mit Blumen schmücken“. Das gesamte Tanzensemble steht eine Zeitlang mit witziger Mimik am Bühnenrand und stellt sich beim Publikum unter anderem mit einem zünftigen Lied vor. Alle tanzen mit Strohbüscheln in den Händen vergnügt und kreischend um den Baum. Übrigens mit Fröschen abgeschauten Bewegungen, wie es auch im Volksbrauch üblich ist.
Was dann zwei Stunden lang folgt, ist freilich keine nette Folklore, sondern eine bunt bebilderte und phänomenal getanzte Reise durch eine Nacht der Lüste und Begierden. Es gibt zwei herausragende Liebespaare, der Träumer und die Hostess gestalten einen klassisch inspirierten, akrobatischen und gleichzeitig erotischen Pas de deux, der Koch (Francesco Nigro) sorgt für skurrile Komik und die Personenliste nennt sogar ein „Fräulein“, was heutzutage wagemutig ist. Es geht vor allem um Beziehungen zwischen Männern und Frauen. Herein schweben riesige Fische und lange Tische. Manches wirkt mystisch dunkel und man muss nicht unbedingt alles auf Anhieb verstehen, denn allein die Beobachtung der oft fast fliegenden Körper macht großes Vergnügen. Alles hat eine gewisse Grazie, Derbheiten werden bloß dezent angedeutet. Ein Bacchanal muss ja keine Pornoshow sein. Eine Zeitanzeige oberhalb der Bühne vermittelt, dass die Nacht vielleicht nur in ein paar Minuten Traum stattfindet. Nach einer gewissen Ermüdungsphase liegt der Träumer wieder im Bett, der Wecker klingelt und die Hostess ist zur Stelle für die nächste Mittsommernacht. „Jeder hat einen verrückten Traum“, so Alexander Ekman. „In diesem Traum ist alles möglich. Unsere Träume enden niemals.“ Das Publikum hat gerne mitgeträumt und feiert alle Mitwirkenden. Leider nur eine Aufführung!
Bilder: SFS / Konrad Fersterer