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Die geliebte Müllerin ist mein!

FESTSPIELE / LIEDERABEND PRÉGARDIEN, SCHIFF

19/08/24 Schade, dass der ORF „gewöhnliche“ Festspielkonzerte nur mehr ganz selten

19/08/24 Schade, dass der ORF „gewöhnliche“ Festspiel-Konzerte nur mehr selten mitschneidet. Mit Julian Prégardien, András Schiff auf einem historischen Piano aus der Schubert-Zeit und der Schönen Müllerin hätte man eine Interpretation eingefangen, die sich wohl ausmachte in der Reihe der Festspiel-Dokumente, die sich ja aus solchen Aufnahmen speist(e).

Von Reinhard Kriechbaum

Da erwachen also die einschlägigen Hormone in einem Müllersburschen, der unterwegs ist zur ersten Liebe, die auch seine letzte sein wird. Kein vorlaut polternder Teenie, sondern ein Pubertärer auf zaghafter Suche. Mehr Ich-Findung als Partnerinnensuche. „Gelt, hab ich's verstanden? Zur Müllerin hin“ singt er in der Danksagung an den Bach. Die Unschuld, die Julian Prégardien allein diesem einen Satz mitgibt, macht klar, auf welches Drama da ein unerfahrener junger Mann hinsteuert.

Prégardiens Stimme hat eine lupenreine Helltönigkeit, der man genau diese Unschuld abnimmt. Man wird an den jungen Peter Schreier erinnert. Nicht an die Naturburschenhaftigkeit eines Hermann Prey, nicht an das tendenziell Grüblerische eines Dietrich Fischer Dieskau (um in dieser Vorbild-Generation zu bleiben). Julian Prégardien gehört natürlich schon der Enkelgeneration an. Als Sänger, der ganz wesentlich auch von der historische Aufführungspraxis beeinflusst ist, hat er einen entschieden anderen Blick auf den Notentext. So spitzt man schon im Eröffnungslied Das Wandern ist des Müllers Lust Strophe um Strophe aufs Neue die Ohren, was ihm nicht alles an Verzierungen einfällt. Selbst die schweren Steine kommen in Bewegung! Es sind nicht nur Umspielungen, Prégardien nimmt sich große Freiheiten, versetzt manche Töne in jene Höhen, die seinem Stimmfach – lyrischer Tenor – so besonders entsprechen: So „singen wohl die Nixen tief unten ihren Reihn“, aber das spielt sich gleich in himmlischer, also illusorischer Höhe ab. Die Falltiefe wird enorm sein.

Wie Prégardien da also die Melodien umbiegt, ist nicht Selbstzweck, sondern steht genau im Dienst der Textauslegung: Ein gänzlich Ahnungsloser verrennt sich ganz hoffnungslos in ein Trugbild. Die junge Dame wird beim ersten Regentropfen dahin sein und – gar keine Frage – ihr „blondes Köpfchen“ nach dem Jäger drehen. So überirdisch hell und leise, wie dieser Sänger den Morgengruß anlegt, entlarvt sich sein Hoffen schon im Vorhinein als die ultimative Selbsttäuschung.

Zauberwort leise. Da kommt András Schiff ins Spiel, diesmal auf einem ganz besonderen Flügel: Franz Brodmann, Wien um 1828. Schiff ist der stolze Besitzer dieses Instruments, das er dem Beethovenhaus Bonn als Leihgabe überlassen hat und sich für Konzerte dort wieder „ausborgt“. Einst gehörte das Instrument dem Habsburgischen Kaiserhaus, Karl nahm es 1919 ins Exil in die Schweiz mit. Ein gutes Stück tönender österreichischer Kulturgeschichte also, das Schiff mit der ihm eigenen Subtilität zum Klingen bringt. So delikat und fein hört man Die schöne Müllerin sonst eben nicht, und das eröffnet gerade einem stilkundigen Sänger wie Prégardien optimale Gestaltungsmöglichkeiten. Potentielles Testosteron bleibt unausgeschüttet, tröpfelt ein einziges Mal ins Blut, nämlich wenn der Jüngling singt: „Die geliebte Müllerin ist mein!“ Was für ein Trugschluss, wie wir schon im darauf folgenden Lied (Pause) erfahren. Die Sache mit dem grünen Band, das er um die nun am Nagel hängende Laute geschlungen hat, ist ja mehr als fatal.

Vor die Müllerin hat Schiff eine einstündige pianistische Schubert-Exegese gesetzt: Zwei wenig bekannte Petitessen – nicht oft kommt einem Schuberts Ungarische Melodie unter, und wenn, dann von Schiff – brauchten ihre Zeit, und die Fantasie-Sonate G-Dur D 894 sowieso. Einprägsam, wie Schiff da Satz um Satz die feinen, zurückhaltenden tänzerischen Muster herausarbeitet, mit Hilfe des „Moderators“ (ein Stoffband wird per Pedal zwischen Hammer und Saite gerückt) noch einmal tonlich abstuft. Nebenbei bemerkt: Vor zwei Tagen, in seinem dem Thema Fantasie gewidmeten Solistenkonzert hat Schiff allen Ernstes gesagt, dass Schubert jeder Sinn für Humor abgeht – aber das abschließende Sonaten-Allegretto hat Schiff dann doch so gespielt, dass man Schubert direkt hätte schmunzeln sehen könnten...

Bilder: SF / Marco Borrelli

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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