Einen Roman ins Leben transponieren
HINTERGRUND / FESTSPIELE / DER ZAUBERBERG
19/08/24 „Um ehrlich zu sein ist meine bevorzugte Art der Arbeit die Adaption von Texten, die an sich nicht fürs Theater geschrieben sind“, sagt Krystian Lupa und meint damit in erster Linie Romane. Denn „Romane sind Modelle der ganzen Welt.“ Lupas Dramatisierung von Thomas Manns Der Zauberberg hat morgen Dienstag (20.8.) im Landestheater Premiere.
Genau solche Texte, neben Thomas Mann etwa von Musil oder Kafka, deren Adaption fürs Theater auf den ersten Blick unmöglich erscheine, liebe er besonders, sagt der polnische Regie-Altmeister. Seit seiner Jugend setze sich der jetzt Achtzigjährige mit dem Werk von Thomas Mann auseinander. „Der Zauberberg war für mich eine Art Initiationsbuch.“
Im Vergleich zu anderen Autoren, mit denen er sich zuvor beschäftigt habe, hätten ihn bei Thomas Mann besonders die Perspektive des kollektiven Erzählens und aus dieser heraus die Frage fasziniert: „Wer oder was ist der Erzähler? Was ist die Verbindung zwischen der physischen Person, die das Buch geschrieben hat und demjenigen, der die Rolle kreiert?“ Den Roman in seiner umfassenden Größe auf die Bühne zu bringen, habe er sich – insbesondere im Hinblick auf die Gefahr, der Figur des Hans Castorp durch eine Fragmentierung nicht gerecht zu werden – lange Zeit nicht vorstellen können. Nicht zuletzt aufgrund der Parallelen zwischen den Kriegsvorahnungen im Buch und der vergleichbaren Nähe aktueller Geschehnisse rund um Litauen habe er sich dann aber doch dazu entschlossen.
Im Hinblick auf die zweigeteilte Struktur des Romans, dessen erster Teil vor und dessen zweiter Teil nach dem Ersten Weltkrieg geschrieben wurde, sagt Lupa: „Es ist eigentlich ein palimpsestisches Werk, das wirkt, als sei es von zwei verschiedenen Autoren geschrieben. Die menschlichen Erwartungen und Hoffnungen sind vor dem Krieg ganz andere gewesen als danach.“ Entsprechend hätten sich auch Thomas Manns eigene politische Ansichten und sein Demokratieverständnis davor und danach geändert. „Die unterschiedlichen Sichtweisen der beiden Teile verschwimmen.“
Über ein zusätzliches Verschwimmen von Traum und Realität in der Produktion anhand filmischer und musikalischer Stilmittel sagt Lupa: „Kurz vor seinem Tod hat Thomas Mann sein schriftstellerisches Selbstverständnis zum Ausdruck gebracht. Dabei geht es um die Übermittlung eines verschwiegenen, quasi nonverbalen Texts, der in uns steckt.“ Das spiele sich auf einer Ebene ab, die durch von Schauspielern gesprochene Texte nicht ausgedrückt werden könne. „Es gibt so etwas wie eine osmotische Verbindung zwischen den gezeigten Bildern und den Schauspielern.“
Daraus ergeben sich für Krystian Lupa Konsequenzen: „Die Auswahl unserer Darsteller nehmen wir hauptsächlich nach ihrer Faszination für die eigene Arbeit vor. Das interessiert mich grundsätzlich mehr als die Ausprägung ihrer Fähigkeiten als professionelle Schauspieler.“ Der Text enthalte ein ganzes Spektrum an Aspekten. Das erfordere nicht nur eine Anpassung der Schauspieler an den Text, sondern auch umgekehrt. „Mich fasziniert es, wenn Schauspieler nicht nur eine Rolle spielen, sondern wenn sich dabei auch die Figur selbst immer wieder verändert. Ich gebe den Darstellern anfangs eine Art Skelett an die Hand, das sich dann nach und nach erst in den endgültigen Text verwandelt. Ein Drehbuch oder ein Theaterstück nur am Schreibtisch zu entwerfen, ist für mich unvorstellbar. Für mich muss ein Stück ins Leben, in die Realität transponiert werden.“
Thomas Mann biete aus seinem Selbstverständnis als europäischer Schriftsteller gute Möglichkeiten für eine Übersetzung – wie eben für diese Koproduktion zwischen den Festspielen und dem litauischen Jaunimo Teatras in Vilnius. Auch wenn manche Textelemente aus dem Zauberberg in ihrem zarten, fast parodistischen Humor auf eine andere Sprache und Kultur schwer übertragbar seien, hofft der Regisseur, dass sich dieser für das Publikum gut fassbar in den Übertiteln wiederfände. (PSF / dpk-krie)
„Der Zauberberg“, Premiere morgen Dienstag (20.8.) um 18.30 Uhr im Landestheater. Aufführungen bis 28. August – www.salzburgerfestspiele.at
Bild: SF / Jan Friese