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Die größten Weisen sind die Wahnsinnigen

FESTSPIELE / HAMLET

17/08/24 Ein Opernakt, der ausschließlich einer einzigen Sängerin gehört – das dürfte ein Alleinstellungsmerkmal sein für den Hamlet des Ambroise Thomas. Alleine Ophelias Wahnsinns-Arie dauert fünfzehn Minuten. Dann folgt noch die gut fünfminütige Szene, da sie die Wassernymphen bittet „Versteckt mich im Schilf“ – also ins Wasser geht.

Von Reinhard Kriechbaum

Lisette Oropea ist in den beiden konzertanten Festspielaufführungen des Hamlet die Ophelia. Der Jubel-Orkan, der ihr am Freitag (16.8.) in der Felsenreitschule entgegenbrandete, war der Länge der Wahnsinnsarie angemessen. Einfach umwerfend diese Bravournummer, in der im Tonumfang geradezu tollkühne Koloraturen, Trillerketten in exponiertesten Lagen, aber auch viele betont lyrische Passagen einander abwechseln. Geradezu umwerfend die stupende technische Selbstverständlichkeit, aber auch die außerordentliche Weichheit in der Tongebung, mit der Lisette Oropea dieses Stück erfüllte. Nach dem minutenlangen Applaus ein ganz anderer Tonfall. Denn da tritt der Chor mit leisen Vokalisen hinzu. Ophelias Wasser-Tod wird in geradezu impressionistischem Tonfall beschrieben. Debussy war freilich noch Volksschulkind, als der Hamlet des Ambroise Thomas 1868 uraufgeführt wurde.

Aber genau das ist das Reizvolle an dieser Oper: Einerseits griff der Komponist auf Vergangenheit und Gegenwart der italienischen Oper zurück (Donizettis Werke kannte er wohl in- und auswendig, und mit dem frühen Verdi war er genau so vertraut). Da ist natürlich auch der überrumpelnde Ton der „Grand opera“ mit all ihrem Wust und Pomp. Und gleichzeitig war Thomas auffallend eigenständig in der Orchestersprache: Die Theater-Performance, mit der Hamlet den Stiefvater als Königsmörder auffliegen lassen will, hat er als Pantomime umgesetzt, deren Inhalt Hamlet als Kommentator erzählt. Die Szene wird von einem Saxophonsolo eingeleitet. Das gab's bis dato nur einmal in der Opernliteratur, bei Berlioz.

Überhaupt die Bläsersoli! Schon im Orchestervorspiel (und nicht nur dort) sind dem Solohorn einige exponierte Kantilenen anvertraut, die Klarinette dialogisiert immer wieder mit den Gesangsstimmen. Die Erste Flöte ist gerade in den Ophelia-Nummern auch nicht gerade unterbeschäftigt, Englischhorn und Bassklarinette haben ebenso markante Stellen. Und bevor sich noch der Geist von Hamlets ermordetem Vater das erste Mal zu Wort meldet, hat im vorbereitenden Orchester-Spuk die Posaune einen ganz großen Auftritt. Nicht nur die Bläserinnen und Bläser des Mozarteumorchesters können all ihre Vorzüge ausspielen.

Die ausgefeilte Klangmalerei zwischen Celli und Klarinette am Beginn der Wahnsinnsarie ist ein Beispiel auch für die Handschrift des Dirigenten. Bertrand de Billy ist der Stilist schlechthin für diese Literatur. Freilich lässt er die vielen eingängigen Melodien süffig aufrauschen, doch er behält dabei immer die gediegene Instrumentation im Auge. Sorgsam tariert ist auch die Agogik. Auch da viele Italianità-Anklänge. So geführt und getragen, lässt sich gar wunderbar singen. Der Bariton Stéphane Degout ist Hamlet, der in einigen entscheidenden Momenten ja doch zaudernde Rächer seines Vaters. Gar kein Haudegen also. Das Skrupulöse, das der Komponist dieser Partie eingeschrieben hat, bringt Degout in vielen aufschlussreichen Schattierungen heraus. „Die größten Weisen sind die Wahnsinnigen“ – Hamlets scheinbar so forsches Trinklied mit Abstürzen in tiefste Depression im zweiten Akt formt der Sänger zu einem eindrücklichen Psychogramm.

A propos Trinklied: Den beiden Totengräbern, die den fünften Akt eröffnen, hat Ambroise Thomas nette Reminiszenzen an den Geharnischten-Choral aus der Zauberflöte zwischen die Notenzeilen geschrieben. Das macht Schmunzeln, und da kommt auch die französische Tragédie-lyrique zu ihrem Recht. Es steckt eben viel drin in dieser Partitur. Knalliges, Schmalz und hinterlistig-ironische Untertöne. Das lässt Bertrand de Billy das Orchester so recht auskosten.

Tolle Stimmen, stilkundig angeführt: Ève-Maus Hubeaux ist eine stimmlich elegante Mezzosopranistin. Diese Königin bewahrt Facon, auch wenn Hamlet sie mit seinen Vorwürfen in die Enge treibt. Jean Teitgen ist der Königsmöder (und neue König), einer mit robustem Selbstbewusstsein, den im dritten Akt das schlechte Gewissen umso nachhaltiger einholt. Julien Henric als Laerte ist der tenorale Strahlemann schlechthin, wogegen Vater Polonius im sinistren Bass von Jerzy Butryn die rabenschwarze Entsprechung findet.

Clive Baylay, der Geist des verstorbenen Königs, singt im weißen Sakko mit Mascherl aus einer Arkade. Seine Auftritte werden immer von einem mächtigen Tamtam-Schlag (ebenfalls in einer Arkade postiert) eingeleitet. Den weitgehend auf einem Ton vorgetragenen Rache-Aufforderungen könnte Hamlet sich nie und nimmer entziehen.

Ein letztes Mal ein musikhistorisches Spannungsfeld: in den instrumental ganz „altmodisch“ gefassten Trauerkondukt für Ophelia bringen sich die Damen des von Walter Zeh einstudierten Philharmonia Chores mit lyrischer Empathie und französischem Charme ein. Der Chor hat nicht wenig zu tun im Hamlet, hat unterschiedlichste Stimmungsbilder zu suggerieren. Auch fein und anschaulich gemacht.

Unterschied zu Shakespeare: Hamlet überlebt, wenn auch psychisch total ramponiert. „Meine Seele ist im Grab und ich bin König“, sind seine letzten Worte.

Zweite Aufführung am Montag, 19. August, um 19 Uhr in der Felsenreitschule – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Marco Borrelli

 

 

 

 

 

 

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