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Noch immer ein Wunder

FESTSPIELE / BARENBOIM / WEDO

16/08/24 Geplant war das Konzert des West-Eastern Divan Orchestra im Zyklus Zeit mit Schönberg. Nur wurde es eines in der Reihe Orchester zu Gast, da Maestro Daniel Barenboim aus gesundheitlichen Gründen statt Schönbergs Pelleas und Melisande Franz Schuberts „Große C-Dur-Symphonie“ auf das Programm setzte. Die Zeit mit Schubert am 15. August war freilich ebenfalls ein Erlebnis.

Von Gottfried Franz Kasparek

Vor der Pause gestaltete Anne-Sophie Mutter das Violinkonzert von Johannes Brahms in meist gemächlichem Tempo und mit jenem schwelgerischen, süßen Ton, der seit bald einem halben Jahrhundert ihr Markenzeichen ist. Die originale Kadenz von Joseph Joachim kostete sie mit sensibler Eleganz aus. Um die direkt anspringende Bravour und den leicht magyarischen Charme des Final-Rondos war sie allerdings auch nicht verlegen. Daniel Barenboim, schmal und gebrechlich geworden, begleitete sie dabei sitzend und mit all seiner Ehrfurcht gebietenden Souveränität. Das Orchester beaufsichtigte er mit wenigen Gesten.

Vor 25 Jahren gründeten Barenboim und Edward Said im hoch aktuell gebliebenen Sinne von Goethes „West-östlichem Diwan“ das Orchester. Es ist fast ein Wunder, dass in diesem immer noch junge Künstlerinnen und Künstler israelischer und palästinensisch-arabischer Herkunft miteinander auf höchstem Niveau musizieren, mit Gästen aus Spanien, der Türkei und sogar dem Iran. Der reiche Applaus schloss auch den solistisch geforderten, butterweich intonierenden Oboisten mit ein. Anne-Sophie Mutter fand am Ende ihres Auftritts bewegende Worte zur traurigen Gegenwart und spielte mit Hingabe als Zugabe Johann Sebastian Bachs Sarabande aus der Violin-Partita Nr. 2 d-Moll. Musik kann leider nicht Frieden schaffen, aber sie kann ein wichtiges Zeichen dafür setzen.

Brahms war ein bekennender „Schubertianer“ und der erste Herausgeber aller Schubert-Symphonien, also war das Programm in dieser Folge ebenfalls dramaturgisch passend. Auch im monumentalen, fast strichlos gespielten Werk Schuberts fand Daniel Barenboim mit knapper Zeichensetzung sein Auslangen. Großartig, wie er zum Beispiel im Andante die Gustav Mahlers orchestrale Katastrophen visionär vorwegnehmende Klimax des Trauermarsches bis in gleißende Fortissimo-Dissonanzen aufbaute und nach der Gänsehaut erzeugenden Generalpause warmen Streicherklang aus dem Nichts heraus so etwas wie Gnade erflehen ließ. Da blieben sogar die bronchialen Ereignisse im Publikum aus.

Im sicht- und hörbar motivierten Orchester brillierten nicht nur die Hornisten. Die Streichergruppe, mit „himmlisch langen“ Wiederholungen von Begleitfiguren konfrontiert, akzentuierte eben diese gefürchteten Abschnitte auf der Stuhlkante sitzend mit größter Vitalität und erzeugte eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen konnte.

Es ist ja immer wieder erstaunlich, wie Schubert anno 1825 im Schatten Beethovens nicht nur die Musik um 1900, sondern gleich auch nebenbei den Minimalismus erfunden hat. Das „Sehnen über diese Welt hinaus“, wie Mahler später postulierte, fand bereits damals statt. Und das Sehnen des Franz Schubert nach der großen, die Welt erklärenden Symphonie ging über seine Zeit und ihre Orchester weit hinaus. Dies brachten Daniel Barenboim und sein Klangkörper besonders schön zur Geltung. So verging eine Stunde, erfüllt von menschlichem Atem und völlig ohne die heute oft übliche forsche Tempobolzerei, beglückend und wie im Fluge. 

Danach gab es nicht enden wollende stehende Ovationen – und noch eine Zugabe? Felix Mendelssohn Bartholdy hat 1839 die Symphonie, welche Freund Schumann in Wien gefunden hatte, im Leipziger Gewandhaus uraufgeführt. Wohl auch darum und wegen einer gewissen Nachfolge, was den insistierenden Rhythmus betrifft, entließ das duftige Scherzo aus der „Sommernachtstraum-Musik“ das Publikum in eine ausnahmsweise einmal nicht von Blitz, Donner und Starkregen gestörte, sondern angenehm laue Sommernacht.  

Bilder: SFS / Marco Borrelli
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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