Doch lieber die Gondel!
FESTSPIELE / LES CONTES D' HOFFMANN
14/08/24 Wer für seine Karte 465 oder 385 Euro zahlt, oder auch nur 75 oder dreißig, der will statt Mülltonne und Einkaufswagerl vielleicht wirklich lieber eine Gondel sehen. Kann man verstehen. Einen Buh-Sturm mittlerer Stärke erntete Mariame Clément für den Emanzipierungs-Wind, den sie ausgerechnet in der phantastischsten aller Opern säen wollte.
Von Heidemarie Klabacher
„Hoffmann erzählt.“ Erzählt in der Rahmenhandlung von seinen drei bizarren tragischen Liebschaften. Dem Regiekonzept von Mariame Clément liegt die Idee zu Grunde, „das Erzählte immer in den Rahmen einzuweben“. Die Realität der Rahmenakte soll sich wie ein roter Faden durch die phantastischen Binnenakte ziehen. Das geht umso leichter, wenn Alkohol im Spiel ist. Der Dichter Hoffmann ist in der Neuproduktion der Festspiele ein Filmemacher. (Ist da nicht voriges Jahr jemand viel Berühmterer mit der Idee eines Filmteams auf der Bühne grandios gescheitert?) Zunächst sehen wir einen „naturgemäß“ jungen Regisseur mit wenig Geld. Dann steigen Ruhm und Produktionsmittel. Am Ende bleiben Suff und Leere. Die Rahmenakte spielen in der vergammelten Seitengasse wohl neben einem Theater. Die Passage vom Rudolfsplatz zur Salzach, an der Szene Salzburg vorbei, wäre als Location gastlicher, aber zu eng für Crew, Chor und Statisten (Römerrüstung oder Reifrock) die bunt und fröhlich pausieren und feiern. Und natürlich Hoffmann zum „erzählen“ anstacheln. Der erste Knüller immer – das Lied vom Gnom Klein Zack, aus dem heraus Hoffmann hinüber träumt zur geliebten Stella.
Im Drame fantastique von Jules Barbier und Michel Carré ist Olympia, die erste Liebe, ein mechanisches Spielwerk. Hier ist sie die Tochter von Hoffmanns ehemaligem Physikprofessor Spalanzani. Diese Olympia aus Fleisch und Blut ist ein Schulmädchen (wollte man/frau nicht GEGEN Frauenklischees an-inszenieren) im Faltenrock. Koloraturen-zornig deutete sie komödiantisch an, dass Hoffmann sie begrapscht hat. Da diese Olympia zugleich als WonderGirl die Hauptdarstellerin in einem billigen Science Fiction-Film Hoffmanns ist, sind also Kindesmissbrauch und „Me-Too“ in der Filmbrance mit Erfolg angedeutet. Die Augen der mechanischen Puppe (unsinnig geworden mit einer lebendigen Olympia), die Spalanzani dem Optiker Coppelius im ersten Akt schuldig bleibt, kehren als kopfgroßes Leitmotiv wieder und wandern von Statisten getragen durch's ganze Stück.
Plausibler ist der Antonia-Akt (die Regisseurin hat ja nach Recherche herausgefunden, dass es eigentlich drei Opern in der Oper gibt). Die Sängerin, also die „Darstellerin“ der schwindsüchtigen Antonia, ist hier sichtlich in den Regisseur verliebt. Dieser ist ihrer längst überdrüssig und versucht nur mehr, seine Hauptdarstellerin bis Drehschluss bei Laune zu halten. Auch hier stellt sich die Frage, wo genau der Selbstermächtigungs-Aspekt der offenbar ausgenutzten Frau liegt.
Der Filmdreh ist hier jedenfalls szenisch brillant gelöst. Immer wieder toll, wie sich das Durcheinander aus Technikern, Visagistin, Kameraleuten und Assistenten mit Klappe und Scheinwerfer schlagartig auflöst und ein Stück „echter“ Antonia-Akt in klassischem Setting abgedreht wird. Der „echte“ Hoffmann bleibt szenisch der Regisseur. In den Filmszenen agiert stumm ein Hoffmann-Double im Gehrock.Benjamin Bernheim in der Titelpartie singt vom Regiestuhl aus dessen/seine Partie. Das ist tatsächlich von reizvoller Doppelhelix-Struktur. Benjamin Berneheim begeistert mit strahlendem, souverän in alle stimmlichen und emotionalen Höhen und Tiefen geführtem Tenor. Seine Darstellung als ein wenig labiler Mensch von heute ist überzeugend.
Das Hauptaugenmerk in Les Contes d’Hoffmann gilt natürlich den Frauenfiguren. Kathryn Lewek singt alle vier Partien: Stella, Olympia, Antonia und Giulietta. Sie überzeugt mit brillant angriffigen Koloraturen, schmelzender Kantilene und pulsierender Dramatik. Die zweite Vierfach-Partie singt Christian Van Horn in den Rollen von Lindorf, Coppélius, Dr. Miracle und Dapertutto. Kate Lindsey betört mit strahlendem Sound als Muse in Gestalt des Jünglings Nicklausse. Zusammen mit der Giulietta singt Nicklausse die berühmte Barcarolle: Das Stück scheint vor Ort entstanden und in einer Spontanaktion von den beiden vom Blatt gesungen zu werden. Hoffmann sieht das, fährt wütend in die wahrhaft simmungsvolle Szene und zerreisst wütend das Notenblatt. Vielleicht hat die Regisseurin recht, dass Hoffmann eifersüchtig auf die Künste seiner Frauen ist. Marc Minkowski debütierte am Pult der gewohnt delikat, präzise und immer wieder klangvoll aufblühenden Wiener Philharmoniker. Cello und Klarinettensoli sind vom Feinsten. Der Jubel für Dirigent, Orchester und Vokalisten verdient laut. Die Buhs für das Regieteam immerhin ernst gemeint.
Weitere Aufführungen bis 30. August im Großen Festspielhaus – www.salzburgerfestspiele.at
Die Rundfunkaufnahme wird am 31. August um 19.30 auf Ö1 gesendet. Die gemeinsame Aufnahme von ORF, WDR/ARTE und UNITEL wird wie folgt ausgestrahlt:
16. August 2024 um 21:20 Uhr live-zeitversetzt in ORF 2
16. August 2024 um 22:00 Uhr live-zeitversetzt auf ARTE Deutschland
24. August 2024 um 18:30 Uhr im Internet auf Stage+
Bilder: SFS / Monika Rittershaus