Magier im Tarnmantel
FESTSPIELE / SOLISTENKONZERT KISSIN
08/08/24 Immer facettenreicher scheint sein Sound zu werden, immer pointierter der Anschlag, der je nach Bedarf Anklänge an Kleine Trommel und Pauke oder Harfe und Celesta zu wecken weiß. Nun stellte Evgeny Kissin seine technische und interpretatorische Virtuosität in den Dienst keineswegs lauter „gängiger“ Werke – und erntete einen Beifalls-Sturm.
Von Heidemarie Klabacher
Ein Zauberer kann sich nicht besser tarnen. Ein Pianist nicht mit mehr Understatement auftreten. Wobei - Understatement ist ja auch schon wieder Attitüde. Eine solche hat Evgeny Kissin nicht. Grigori Sokolovs brumm-bäriger Auftritt ist ja auch schon wieder „irgendwie“ legendär. Virtuosinnen mit Killer-High-Heels ohne nennenswertes Gewand darüber sollen sein müssen, die Klassik-Szene muss ja irgendwie überleben. Evgeny Kissin könnte bei seinem Auftritt auch aus dem Büro statt aus der Seitenbühne kommen. Unauffällig, nachdenklich, nach einem langen Arbeitstag noch immer mit dem Gürtel kämpfend, der irgendwie nicht sitzen mag.
Einen sich bescheidener gebenden Künstler gibt es derzeit nicht unter den Tasten-Stars. Seit 1988 – da war der 1971 Geborene einer der Solisten in Schostakowitschs Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester im Gastspiel der Moskauer Virtuosen – seither ist Evgeny Kissin Stammgast in Salzburg. Und auf den Podien der Welt.
Aus dem Sonatenschaffen Ludwig van Beethovens wählt er die selten gespielte Sonate Nr. 27 e-Moll op. 90. Mit dem zweisätzigen Werk von kaum einer Viertelstunde Spielzeit und fast ebenso langen deutschen Satzbezeichnungen bescherte Kissin dem Publikum im Haus für Mozart einen ersten Kosmos: Mit Lebhaftigkeit und durchaus mit Empfindung und Ausdruck traten Kämpfer und Denker in Dialog. Nicht zu geschwind und sehr singbar vorgetragen stellte sich Beethoven den zweiten Satz vor. Evgeny Kissin nahm ihn beim Wort: Anhebend als musterhaft klassisches Rondo trägt auch dieser Satz seine dunkleren Momente, welche Kissin immer wieder aufzulösen wusste in immer noch weicheren „romantischeren“ Sound. Wie für den zurückhaltenden Kissin geschrieben, der vielleicht bescheidenste Sonaten-Schluss der Musikgeschichte.
Zwei Mal Chopin – Nocturne fis-Moll op. 48/2 und Fantaisie f-Moll op. 49. Samtiger Sound, keine Härten, Klangfarbenspiele über jedes Farbspektrum hinaus. Und Johannes Brahms' Vier Balladen op. 10 gespielt als vier Meister-Erzählungen zwischen schwärzester und lieblichster Romantik. Als technisch-virtuosen Höhepunkt spielte Kissin die Sonate für Klavier Nr. 2 d-Moll op. 14 des jungen Sergej Prokofjew als Hexenritt für Schlagzeugsolo und Marimba. Nur halt auf dem Steinway.
Drei „kleine“ Pretiosen als Zugabe, jeweils lapidar angekündigt als „Eine Mazurka von Chopin. Ein Marsch von Prokofjew. Ein Walzer von Brahms.“ Aus der Mazurka cis-Moll op. 41/1, dem Marsch aus den Zwei Stücke aus Die Liebe zu den drei Orangen und dem Walzer As-Dur op. 39/15 band Kissin seinem Publikum einen Abschiedsstrauß von liebenswertester Vielfalt und Delikatesse. Man hätte noch lange und gespannt zuhören wollen.
Bilder: SFS / Marco Borrelli