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Wenn auch die Disteln blühen

FESTSPIELE / PIERRE-LAURENT AIMARD

07/08/24 Arnold Schönbergs Klavierwerk füllt nicht einmal eine Stunde, markiert aber wichtige Stationen seiner Entwicklung nach der Abwendung von der Tonalität. Wie schön, dass der Pianist Pierre-Laurent Aimard dieses sperrige Oeuvre mit aussagekräftigen anderen Stücken garniert.

Von Gottfried Franz Kasparek

 

Diese Stücke beweisen, dass der Weg Schönbergs wesentliche Ausgangspunkte in der Romantik hatte und nicht der einzige bedeutende in die Moderne gewesen ist. Der fast dreieinhalbstündige Klavier-Marathon im Mozarteum mit zwei eher kurzen Pausen war ein Erlebnis, denn Pierre-Laurent Aimard ist ein Herold der Avantgarde und ein mitteilsamer Denker am Flügel. Er ist nicht nur auf Neues neugierig, sondern setzt sich auch immer wieder liebevoll mit dem klassisch-romantischen Repertoire auseinander. Technisch untadelig und begabt mit feinem Gespür für alle möglichen Farben seines Instruments, ist er einer der vielseitigsten Meister des Pianos in unserer Zeit.

Dazu kommen seine Begabung zum auch in deutscher Sprache versierten Conferencier und sein besonderes, charmantes Charisma. Diesmal ersucht er das Publikums, in den ersten beiden Teilen des Abends nicht zwischen den Stücken zu klatschen, was eine gute Idee ist. So kann man sich nach dem freitonalen, noch spätromantisch geprägten op. 11 von Schönberg – berührend das zweite der drei Stücke, wohl eine Trauermusik für den Maler Richard Gerstl – sofort in die wilden Visionen des Alexander Skrjabin begeben. Der russische Feuergeist frönte, ebenfalls um 1910, in seiner 9. Klaviersonate einem expressiven Impressionismus. Eine Schwarze Messe, wie betitelt, gar eine „Parade der Kräfte des Bösen“, wie Skrjabin schrieb, ist dies eher nicht, sondern ein unterhaltsam lodernder Tastendonner ohne wirklich zwingenden Einfall.

Am Schluss des ersten Teils steht „Gaspard de la nuit“ von Maurice Ravel aus dem Jahr 1909. Als „Schatzmeister der Nacht“ wird in Frankreich der Teufel bezeichnet, der hier eine Nixe, einen Galgen und einen Kobold zum Tanzen bringt, mit Witz und federnden Rhythmen, ein bisschen Melancholie und einer Prise sensibler Chanson-Melodik. Mit Verlaub, Ravel überstrahlt seine Zeitgenossen bei weitem und Maitre Aimard spielt das mit derart funkelnder Laune, dass das Publikum schon am Ende des ersten Durchgangs jubelt.

Nach der einem gnädigen Wettergott zu dankenden Pause im lauschigen Garten geht es in die dornigen Gefilde der Atonalität und der Dodekaphonie mit Schönbergs op. 19 und op. 23 sowie den letzten Klavierstücken des Komponisten op. 33 a und b. Dass auch Disteln recht prächtig blühen können, beweist der kongeniale Interpret nicht nur mit perfektem Spiel, sondern auch mit einem steten Blick in die hinter den bewundernswerten Kopfgebilden steckende Intensität des Ausdrucks. Sogar Anton Weberns späte, seriell spröde Variationen op. 27 erhalten von Pierre-Laurent Aimard entsprechend emotionalen Subtext. Dass all diese intellektuelle Arbeit einen von Schönberg selbst auserkorenen Stammvater namens Johannes Brahms hat, beweisen drei von dessen Intermezzi op. 118 – da brodelt schon die Chromatik in Richtung Auflösung der Strukturen. Und vor der zweiten Pause gibt es Robert Schumanns Gesänge der Frühe op. 133, das letzte große Stück vor der Umnachtung, eigentlich „An Diotima“ genannt und schon dadurch ein Vorgriff auf die Moderne, welche Friedrich Hölderlin zu einem poetischen Heros erheben wird. Diotima ist ja die Geliebte von dessen Romanhelden Hyperion. Und der Zauberer am Flügel spielt Schumann mit diesem Wissen, aber ebenso mit alle Höhen und Tiefen des Stücks auslotendem Gefühl. Also begleitet ihn wiederum Jubel in die zweite Pause.

Nachher stehen noch zwei Stücke des angewandten Neoklassizismus am Programm. Arnold Schönberg verwendete in seiner Suite op. 25 freilich barocke Formen lediglich als formale Hüllen für harmonische Experimente, hinter denen die alten Tänze nur schemenhaft herumgeistern. Versehen mit spielerischer Laune macht das trotzdem Vergnügen.

Am Ende noch einmal Maurice Ravel, der einen der höchsten Gipfel der Klaviermusik in der klassischen Moderne erreicht hat. Seine berühmte, die alte Musik nicht zerlegende, sondern mit Geist und Gefühl souverän neu fassende Suite Le Tombeau de Couperin in der sechssätzigen Urfassung für Klavier in Gedenken an im Ersten Weltkrieg gefallene Freunde vermittelt mit Esprit die Botschaft, bei aller Trauer neuen Frieden und neue Freiheit zu erstreben. Dies wird aktuell bleiben, solange Kriege geführt und irgendwann beendet werden. Besser und nuancenreicher und dabei mitreißend tänzerischer als Pierre-Laurent Aimard kann man das nicht spielen. Er hat völlig recht damit, sich von den stehenden Ovationen im Saal nicht zu einer Zugabe verleiten zu lassen. Was man sich wünschen darf, ist eine Doppel-CD mit diesem Programm. Was es schon gibt und sehr empfehlenswert ist, das ist seine neueste CD mit aufs Feinste ausgehorchten Schubert-Ländlern.

Bilder: SF / Marco Borrelli

 

 

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