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Kaviar auf Butterbrot? Heldentod!

FESTSPIELE / DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT

05/08/24 „Ein jeder von euch soll zusammenstehen wie ein Mann“, lässt Karl Kraus einen Kriegsbegeisterten sagen. Und ein junges Fräulein: „Der Poidl hat ma des Beuschl von an Serben versprochen.“ Auch „Nierndln von an Engländer“ könnten bald auf den Tisch kommen, wenn es nach den Kriegsbefürwortern im Jahr 1914 geht.

Von Reinhard Kriechbaum

Wir haben ein Karl-Kraus-Gedenkjahr (150. Geburtstag), da lagen Die letzten Tage der Menschheit natürlich auch für die Festspiele in der Luft. Gut hätte man sich eine szenische Produktion auf der Pernerinsel vorstellen können – wäre vielleicht deutlich relevanter ausgefallen als Nicolas Stemanns Orestie-Verschnitt, und „österreichischer“ allemal. Es ist eine mit viel Musik gewürzte Lesung geworden, nicht wirklich plausibel aufgesetzt auf der Konzertschiene Zeit mit Schönberg. Immerhin: Gekannt haben sich Kraus und Schönberg, und einander geschätzt auch.

Schönberg war ungefähr in der Zeit, da Kraus in Wien in seinem Mammut-Opus Kriegsgräuel, menschliche Verrohung und Absurdidäten beschrieben, mit bitterer Ironie zugespitzt, aber wohl nicht „erfunden“ hat, als Kabarettmusiker im Berliner „Überbrettl“ tätig. Hätte er eine Musik zu einer Kraus-Lesung geschrieben, wäre die ja vielleicht gar nicht so viel anders ausgefallen als das, was am Sonntag (4.8.) nachmittags Georg Graf, Pamelia Sticknes, Joe Pinkl und Peter Rosmanith, bewährte musikalische Weggefährten von Erwin Steinhauer, zu dessen Lesung beigetragen haben.

„Beigetragen“ ist möglicherweise nicht das richtige Wort, denn Musik und Wort bilden in Erwin Steinhauers Auswahl aus den Letzten Tagen der Menschheit eine wunderbare Symbiose. Das beginnt mit der alten Kaiserhymne, die nach ein paar Takten hinüberkippt in eine bizarre Walzerparaphrase. Und dann als Einstieg eben der Volksauflauf von Kriegsbegeisterten samt salbungsvollen Rednern, Nörglern und Optimisten, Mitläufern und Drückebergern, „die sich's gerichtet haben“. Dazu ein Freudenmädchen und ein „Pülcher“. Und besagtes Fräulein mit Haut-gout. Aus dem Innereien-Schmaus mit Beuschl und Nierndln vom Feind ist bekanntlich nichts geworden...

„Verwandlung“ ist das Zauberwort, mit dem Steinhauer konsequent die Szenen voneinander abgrenzt und damit die Kippeffekte deutlich macht und überhöht. Der bizarre Realismus und die von Kraus aus der unmittelbaren Erfahrung, der genauen Beobachtung geschöpften Absurdidäten überrumpeln das Publikum. Steinhauer ist ein brillanter Parodist von Wiener und Berliner Dialekt, ebenso vom Slang aller Gesellschaftsschichten. In wie vielen Varianten hat er das Hernalser „l“ drauf! Er weiß die Szenerien so auszumalen, das man im größten Grauen noch schmunzeln, wenn nicht hell auflachen muss. „Solchterne Sachen kann man gar nicht erfinden, nicht einmal in unserem Etablissement“, sollte Gerhard Bronner im ORF-Watschenmann ein Dreivierteljahrhundert nach Karl Kraus sagen. Zeitgenosse Kurt Tucholsky über Kraus' Opus magnum: „Was sich nicht ereignet hat, das hat nur vergessen, sich zu ereignen – so grauenhaft echt ist das alles.“

Mit Erwin Steinhauer also hinein also in die Volksaufläufe und in die Separées der höheren Offiziere, in die Schützengräben und in die Wiener Seitenstraßen und Hinterhöfe. Die Begegnung Ganghofers mit dem deutschen Kaiser darf ebensowenig fehlen wie das Schlummerlied des österreichischen Kaisers in Schönbrunn. Es hat erstaunlich viel Platz gefunden in den zwei Mal fünfzig Minuten, auch deshalb, weil Steinhauer manches ja auch singend zur Musik unterbringt.

Kalt rinnt es einem den Rücken hinunter, wenn die Offiziere grölen: „Als eingefleischter Patriot / spürt man nichts von Hungersnot.“ Und weiter: „Statt Kaviar aufs Butterbrot / gibt es nichts als Heldentod.“ Der Kaiser in einer Besprechung über Soldaten in der Winterkälte in den Karpaten, in hoffnungsloser Position: „Zum Erschießen sind sie da.“

Nie überschießend die Musiknummern, die Peter Rosmanith vom Schlagzeug her treffsicher zuspitzt, denen die Kollegen (beide Multinstrumentalisten von Gnaden) deftige Klangfarben geben und denen die virtuose Theremin-Spielerin Pamelia Stickney ein unverwechselbares Chroma gibt. Ihr Theremin kann nicht nur Glissandi, es ersetzt locker auch einen gezupften Bass.

Ein böses, aber immerhin ein Ende? Erwin Steinhauer lässt seine Kraus-Lesung so ausklingen: „Man wird vergessen haben, dass man den Krieg verloren hat, dass man ihn begonnen hat, das man ihn geführt hat. Deshalb wird er nie aufhören.“

Bilder: SF / Marco Borrelli

 

 

 

 

 

 

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