Fand nur hohles Echo im Palast
FESTSPIELE / LIEDERABEND GOERNE, HINTERHÄUSER
05/08/24 Übermütig ist man nicht geworden am Sonntag (4.8.) im Haus für Mozart. Nach Erwin Steinhauers Kraus-Lesung am Nachmittag folgten abends achtzig konzentrierte Minuten mit Liedern von Gustav Mahler und Dmitri Schostakowitsch mit dem Bariton Matthias Goerne und Markus Hinterhäuser am Klavier.
Von Reinhard Kriechbaum
Zwei Tonschöpfer, die einem vermutlich nicht so bald in einem Atemzug einfallen. Inhaltliche Linien lassen sich freilich konstruieren von der 1974, ein Jahr vor seinem Tod vom bereits siechen Dmitri Schostakowitsch komponierten Suite auf Verse von Michelangelo Buonarrotti op. 145 hin zu Mahler. Nicht nur in dessen Kindertotenliedern ist das Jenseits nahe, auch in vielen der Lieder Aus des Knaben Wunderhorn wird der Tod unmittelbar angesprochen. „Freund Hein“ spielt bekanntlich nicht nur in Mahlers vierter Symphonie auf.
Noch eine Verbindungslinie: In Mahlers Liedern hört man immer, auch wenn sie in der ursprünglichen Klavierfassung erklingen, auch die Orchestrierung durch – in den Orchesterfassungen sind diese Werke ja viel populärer geworden. Und bei Schostakowitsch, wo der Klavierpart über weite Strecken geringstimmig geführt, dafür melodisch umso expressiver und aussagekräftiger gezeichnet ist, glaubt man auch oft die symphonische Orchestersprache herauszuhören. Das hat Markus Hinterhäuser mit den ersten Tönen des ersten Lieds, Wahrheit, sehr bestimmt herausgebracht, und das blieb bestimmend für den Schostakowitsch-Ton in diesem schließlich – ganz entgegen dem trübsinnigen Grundtonfall – schließlich heftig akklamierten Konzerts.
Matthias Goerne war da vor allem in seinem dunklen Stimmregister gefordert, die Schostakowitsch-Lieder (natürlich auf Russisch gesungen) verlangen eher einen rezitativisch ausgerichteten Zugang. Die „Orchestrierung“ liegt eben im Klavier. Michelangelo rechnet mit seiner Lyrik ab mit dem „Kunstbetrieb“ seiner Zeit. Gleich im Lied Wahrheit heißt es: „...fand nur hohles Echo im Palast.“ Schostakowitsch, so oft von der Zensur gegängelt und geknechtet, konnte sich, auf sein Leben zurückschauend, wohl gut hineindenken in den Künstlerkollegen der Renaissance, der auch auf Gedeih und Verderb abhängig war von seinen Auftraggebern. „Wenn böses Beispiel bess'res Tun verdrängt“, heißt es einmal bei Michelangelo, und das galt ebenso in Russland, nicht nur unter Stalin.
Matthias Goerne, Markus Hinterhäuser und Mahler: Goernes Stimme steht für ausgeprägte Eigenart, und das ist durchaus erfrischend, öffnet neue Perspektiven auf Texte und die Décadence, für die Mahler ja durchaus auch steht. Die runde, bisweilen auch etwas nebelige Tiefe, die fast glockige, ulktra-leichte baritonale Höhe, die stehen bei Goerne unverbunden nebeneinander. Kann man mögen, muss man aber nicht. Ein Lied wie Ich ging mit Lust durch einen grünen Wald, in dem so viele Melodiebögen nach oben hin drängen, gewinnt durch Goerne jedenfalls Besonderheit, und in dramatischen Gesängen (etwa Das irdische Leben) ist das der Intensität unmittelbar dienlich. In dieser Fin-de-siècle-Musik ist ein guter Schuss Manierismus ja gar nicht daneben.
Bilder: SF / Marco Borrelli