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Bühnenblut und Theater-Herzblut

FESTSPIELE / PERNERINSEL / ORESTIE I-IV

04/08/24 Da steht er, Apoll, Gott nicht nur der Künste, auch der sittlichen Reinheit und Mäßigung. Wie ein Popstar, der irgendwie aus der Mode gekommen ist, es nun aber doch mit einem Revival versucht. Er erklärt die Welt, die mitsamt Kriegen und Umwelt den Bach runter geht. Die Götter, für die er eigentlich ein Plädoyer halten will, spielen nur mehr eine randständige Rolle, da kann Apoll sich den Mund fusselig reden soviel er will.

Von Reinhard Kriechbaum

So also findet Nicolas Stemanns Orestie I-IV auf der Pernerinsel doch einen Schluss, nach geschlagenen drei Stunden fünfzig Minuten. So viel los war, so pointiert und effektsicher die Rudimente von vier Antikendramen auf Kurzweil getrimmt waren, ist man doch irgendwie erleichtert, dass die Sache endlich ein Ende hat. War der herzhafte Beifall also eher Erleichterung, es ausgesessen zu haben?

Die Welt ist schlecht, die Demokratie mehr als gefährdet, Kriege toben. Davon, wie es um die Natur steht, reden wir lieber erst gar nicht. Das kann man jeden Tag in der Zeitung lesen, in klugen Analysen und Kommentaren. Und nun also, in Nicolas Stemanns Zusammenfügung von Stück-Rudimenten des Aischylos (Agamemnon und Die Eumeniden), Sophokles (Elektra) und Euripides (Orestes) auf Theater-Langstrecke beobachten. Trostvolle Botschaft vielleicht: Es geht schon seit 2.500 Jahren so, und weder Welt noch böse Menschheit sind untergegangen. Offene Frage (die auch Stemann nicht beantwortet): Wer könnte heute jener Apoll sein, der als Deus ex machina wie im Orestes des Euripides einen finalen Auftritt hinlegt und allen Irrsinn nochmal zum Guten wendet?

Die Spielfläche leer, bis auf die Pulte der Techniker und der Band (weil Musik muss im Antikendrama sein und bei Stemann sowieso). Seitlich zwei riesige Stoffbahnen, weiß mit Blutflecken. Ein paar Tische mit Bürostühlen, ein paar Stufen-Gestelle. So gut wie nichts also. Da erleben wir die Folgen des Fluchs der Atriden in der Endphase. Der Kriegsmacho Agamemnon kommt heim, wird von Klytaimnestra im Bad ermordet. Auch Kassandra, Kriegsbeute und Gespielin des Agamemnon (er sagt mal „Mausi“ zu ihr) muss dran glauben. Die Darsteller (in abstrahierten Kostümen) bilden auch den Chor, der bei Aischylos noch eine große Rolle spielt. Teil zwei: Elektra leidet und rast, Klytaimnestra sitzt am Schminktisch und ist sich keiner Schuld bewusst. Elektra (die gleich noch eine Doppelgängerin zur Seite gestellt bekommt) und Orest verabreden sich per Videokonferenz. Der untote Agamemnon verwandelt sich allmählich in Apoll und sorgt in beiden Gestalten dafür, dass der zaudernde Orest auch wirklich den Muttermord begeht. Vor der Pause (nach zweieinviertel Stunden!) geraten noch – wir sind jetzt schon in den Eumeniden – die Erinnyen (Rachegöttinnen) und Apoll aneinander.

Nach der Pause wird unter Athenes Vorsitz Gericht gehalten (immer noch Die Eumeniden). Das Publikum darf mit gelben und roten Karten abstimmen, ob Orest freigesprochen werden oder hingerichtet werden soll. Das Votum geht so ähnlich aus wie in der Landestheater-Aufführung dieses Stücks vor anderthalb Jahren, ziemlich fifty-fifty. So auch bei Aischylos. Der Regisseur, der gelegentlich kommentierend selbst auf der Bühne steht, gibt, während die Kartons mit den Stimmzetteln entleert und sortiert werden, ein echtes Aischylos-Zitat wieder, nämlich dass Mord am Manne schwerer wiegt als an der Frau. Das Publikum weiß, was sich gehört, und ruft laut „Buh“.

Nach dem Freispruch des Orest (Wahlplakat: „Orest for President“) geht es ultra-wüst mit einer Euripides-Persiflage weiter. Da werden Elektra und Orest zum Tod verurteilt, aber die gehen zum Angriff über. Helena muss dran glauben und die Tochter Hermione als Geisel herhalten. Ein bizarr hingeworfener Comic, dem Apoll mit seinem finalen Auftritt ein Ende macht.

Was wir mit opulenten visuellen Mitteln deftiger schauspielerischer Überzeichnung vermittelt bekommen: Bei Aischylos wird die götterfluchbedingte Gewalt-Spirale durchbrochen, indem der Volksentscheid eingeführt wird. Der eine Generation jüngere Sophokles lässt die Menschen mit ihren Rachegelüsten wieder ausbrechen aus der noch jungen demokratischen Ordnung, die bei Euripides auch schon wieder dahin ist (das alles entspricht dem tatsächlichen historischen Geschehen damals).

Nicolas Stemann bläut uns dies mit einem weitgehend eigenen Theatertext ein. Von den differenzierten politischen Verhandlungen in den Originaltexten lässt er ganz wenig übrig, ersetzt sie durch jene Behauptungen, die heute ganz allgemein als Mainstream gegen das Überhandnehmen von Demokratiegefährdern, seien es Populisten oder die extreme Rechte, vorgebracht werden. Das kommt in sagenhaft flapsigen Formulierungen und mit schnoddrigem norddeutschen Humor daher, der einem nun mehr oder weniger zusagen mag. Jedenfalls wird davon nicht übertüncht, dass an diesem überlangen Abend nichts „diskutiert“ wird, sondern bloß allgemein akzeptierte, gängige Denk-Schemata showmäßig arrangiert werden.

Die fünf Darstellerinnen und Darsteller (vom koproduzierenden Thalia-Theater) sind gefordert, müssen sie doch nicht nur in unterschiedliche Rollen schlüpfen, sondern immer wieder auch aussteigen aus dem Spiel und sich als Handlungs-Erzähler und -Erklärer betätigen. Eine Charismatikerin von Rang ist Barbara Nüsse, als Wächter und wortgewaltige Erinnye bei Aischylos, als Elektra-Doppelgängerin bei Sophokles, als karikierender Pylades bei Euripides. Sebastian Rudolph ist erst Agamemnon, der seinen nackten Oberkörper mit Kriegsbildern zukleistert, dann Apoll im Glitzerkostüm und zwischendurch sogar „bei Maischberger“ Interviewer von Kassandra (Julia Riedler), die als Elektra auch viel zu sagen hat. Aus Sebastian Zimmler, erst Aigisth, wird Orest, der eher als Zauderer gezeichnet ist, denn als entschiedener Muttermörder. Patrycia Ziólkowska schließlich tritt mondän auf sowohl als Klytaimnestra wie auch als Athene und schließlich als zickig-popige Helena. Die fragt sich nicht ganz zu Unrecht, wie sie eigentlich dazu kommt, als Kriegsursache herhalten zu müssen.

Zu schauen hat man, weil im Hintergrund Bilder von Krieg und Zerstörung an die Wand geklebt und überklebt werden, KI-generierte Projektionen erscheinen und die Live-Kamera zum Einsatz kommt – alles vertraute Stemann'sche Theatermittel. Langweilig wird es nie, nur der Po auf der Sitzbank schlägt gelegentlich Alarm. Fazit: Viel Bühnenblut und Theater-Herzblut. Was gedanklich dahintersteckt, könnte man kaum effektvoller, aber entschieden bündiger erzählen.

Aufführungen bis 15. August auf der Pernerinsel – www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: SF / Armin Smailovic
Zum Vorbericht Demokratie ist echt schwierig

 

 

 

 

 

 

 

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