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Aus der Zeit der Abschiede

FESTSPIELE / ZEIT MIT SCHÖNBERG

04/08/24 Im Rahmen der „Zeit mit Schönberg“ erklangen am Samstag (3.8.) im Großen Saal des Mozarteums Stücke, die in Zusammenhang mit dem legendären, von Arnold Schönberg 1918 in Wien gegründeten „Verein für musikalische Privataufführungen“ stehen. Als Verein kurzlebig, hat diese Initiative Schule gemacht und gilt als einer der Vorläufer heutiger Ensembles für „Neue Musik“.

Von Gottfried Franz Kasparek

Die Stücke, die damals gespielt wurden, waren allerdings oft neu im Sinne von zeitgenössisch und nicht im Sinne einer Musik-Ideologie. Denn Schönberg dachte in Sachen Musikästhetik keineswegs so eng wie viele seiner Apostel. Gustav Mahler freilich galt allen als Übervater der Avantgarde. Dass Schönberg seine Bearbeitung des Lieds von der Erde für Kammerensemble schnell wieder abgebrochen hat, hat wohl mit dem Ende des finanziell auf tönernen Füßen stehenden Vereins im Dezember 1921 zu tun.

Der deutsche Musikwissenschaftler Rainer Riehn hat 1982 die Bearbeitung nach den erhaltenen Skizzen vollendet. Seit damals ist auch diese Version erfolgreich im Konzertsaal unterwegs, zurecht, denn sie bringt den wesentlichen Stimmungszauber des Stücks bestens zur Geltung. Die fünf Streichinstrumente, ein klassisches Bläserquintett, Schlagwerk, Klavier, Harmonium und Celesta folgen getreulich den Grundlinien der Orchesterpartitur.

Man hat im diesmal erklingenden, fast halbstündigen letzten Teil der Lieder-Symphonie, im Abschied, auch so etwas wie eine wehmütige Verabschiedung der sogenannten Spätromantik und der Tonalität gesehen, was sicher nicht im Sinne Mahlers war, vielleicht nicht einmal in dem Schönbergs. Heute sollte klar sein, dass die Romantik in der Musik einfach nicht aussterben will und die erweiterte Tonalität unerschöpflich geblieben ist. Eher schon gilt dieser innige Abschied von 1908 einer sterbenden Epoche der Geschichte Europas. Dass dies auf Texte nach alter chinesischer Lyrik geschah, könnte man sogar als Zeichen an der Wand deuten.

Für die leider erkrankte Marianne Crebassa sprang Tanja Ariane Baumgartner kurzfristig ein. Mit ihrem hochdramatischen, Wagner-geeichten Mezzo ersetzte sie also eine betont lyrische Stimme – und machte die Sache sehr gut. Nicht jedes Wort muss verständlich sein und die pastose, gescheit gebändigte Stimme erfüllte den Raum mit großer Wärme und klarer Schönheit. Das vom jungen, aus Nazareth stammenden und aus dem „West-Eastern Divan Orchestra“ kommenden Konzertmeister Yamen Saadi angeführte Dutzend an Wiener Philharmonikern verströmte edelsten Wohlklang und höchste Präzision; es waren elf Herren und eine Dame, Sophie Dervaux am Fagott. Dazu kamen an den Tasteninstrumenten einfühlsam Petros Bakalakos und Johannes Wilhelm sowie am Dirigentenpult der mit ruhigen Gesten animierende Maxime Pascal.

Eine besondere Petitesse war nach der Pause der Kaiserwalzer von Johann Strauss Sohn in der Salonensemble-Fassung Schönbergs. Der Meister der Moderne liebte nämlich die Musik der „Sträusse“ wie sein für ihn mit zunehmendem Alter immer vorbildhafter werdender Vorgänger Brahms, was man diesem duftigen, doch sich gleichzeitig dem Edelschmalz-Zauber eines Schrammel-Quartetts sanft ironisch annähernden Arrangement deutlich anmerkt. Schönberg hob freilich auch die Strukturen dieser „Symphonie im Dreivierteltakt“ hervor und gab, kurz vor dem Ende, eine Prise „Gott erhalte“ dazu. Der 1889 eigentlich mehr für den deutschen Kaiser entstandene, aber in seiner Motivik sehr österreichische, Schubert nahe Konzertwalzer wurde also 1925 mit einem leisen, aber unüberhörbaren Zitat der alten Haydn-Hymne versehen – von Schönberg, der dies merkbar ganz und gar nicht nicht parodistisch meinte, sondern wohl eher als Ausdruck nostalgischer Gefühle im Geiste eines Joseph Roth. Besser, wienerischer und gefühlvoller als das philharmonische Streichquartett mit Luc Mangholz, Flöte, dem ebenfalls eingesprungenen Klarinettisten Alex Ladstätter und dem Pianisten Petros Bakalakos kann man das nicht spielen. – Kleiner Hinweis am Rande an die Dramaturgie: Die Wiener Strauss-Dynastie schreibt sich, nach langem Insistieren der Nachkommen, nun eindeutig „Strauss“ und nicht „Strauß“. Dies ist mittlerweile wissenschaftlicher Konsens.

Das Konzert endete mit einer glanzvoll in die Tasten zweier Klaviere gedonnerten Aufführung vom Maurice Ravels La Valse, jenem „Poème choréographique“ aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, in dem das alte System in trotz genialer Dekonstruktion berauschendem Walzertakt in lodernder Farbenpracht untergeht. Auch Ravel liebte übrigens die Musik von Johann Strauss, was meist verschwiegen wird. Und schon in den alten Konzertwalzern ist ja häufig ein melancholischer doppelter Boden eingezogen. Diesmal erklang der Tanz auf dem Vulkan in der originalen Klavier-Version des Komponisten, die sehr virtuos ist und von Tamara Stefanovich und Nenad Lečić auf das Brillanteste bewältigt wurde. Ravel hat übrigens die Uraufführung dieser Fassung selbst mit dem heute völlig zu Unrecht vernachlässigten Kollegen Alfredo Casella 1920 im Wiener Konzerthaus gespielt.

Eigenartig, dass La Valse an zwei Klavieren doch mehr als Effektstück für Tastentiger wirkt und gar nicht so vielschichtig wie in der Orchesterversion. Viel Begeisterung für alle Mitwirkenden im vollen Saal.

Bilder: SF / Marco Borrelli

 

 

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