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Den fernen Klang gefunden

FESTSPIELE / CAMERATA SALZBURG

02/08/24 Aus ansehnlicher Zeitdistanz – 150 Jahre im Fall von Wagners Siegfried-Idyll, über hundert Jahren im Fall von Schrekers Kammersymphonie und Schönbergs Verklärter Nacht – wundert man sich, dass damalige Hörer von diesen Tönen aufgeschreckt waren.

Von Reinhard Kriechbaum

Dass wir unterdessen mehr Moderne gewohnt und deshalb resilienter gegenüber wagemutigen Harmonien wären, greift als Erklärung eher nicht, zumindest nicht für breitere Publikumsschichten. Mag sein, dass der Grund ganz banal ist: Wer hat heutzutage schon so viel Musik-Bildung mitbekommen, dass es ihm auch nur auffällt, geschweige denn es ihn ernsthaft kratzt, wenn ein Akkord irgendwohin aufgelöst (oder eben nicht aufgelöst) wird, wo ihn die klassische Harmonielehre partout nicht haben wollte? Jedenfalls hören wir jetzt diese drei Werke, ja, mit ungetrübtem Genuss.

Die Camerata Salzburg und ihr Konzertmeister Giovanni Guzzo sind am Donnerstag (1.8.) im Großen Saal des Mozarteums aber genau deshalb mit diesem Programm angetreten, um uns mit der Nase auf die Auflösungstendenzen zu stoßen, die eben mit Wagner einsetzen. Übrigens nicht erst mit seinem legendären Tristan-Akkord. Wenn man das zu Weihnachten 1870 uraufgeführte Siegfried-Idyll so analysierend angeht (gelingt auch ohne Dirigent, Kompliment!), dann zeigt sich: Da sind einige Inseln, in denen die verdichtete Harmonie „steht“, wie ratlos suchend. Das relativiert all die schmeichelnden Melodie-Petitessen rundum. Der Adressatin, Cosima Wagner, Tochter von Franz Liszt, ist das Neuartige gewiss nicht entgangen.

Zeitsprung ein knappes halbes Jahrhundert weiter: Franz Schreker hat 1916 für seine Kammersymphonie den Fernen Klang (Titel seiner 1912 uraufgeführten Oper) gefunden und seinen staunenden Hörern gar wundersam aufgefächert. Mit einfachsten Mitteln, einfach besetzten Holzbläsern etwa, auch mit nur einem Horn, einem Tenorhorn und Posaune. Entsprechend sparsam die Streicher, in dieser Aufführung jeweils doppelt (aber mit drei Celli) besetzt. Wie das aber gleißt und funkelt, wenn man es so fein und durchhörbar anlegt! Und so vielgestaltig in Klang und Motivik diese Musik daherkommt: Auch da trifft man auch „unlösbare“ Harmonien.

Ein Tonsystem war da eben an ein Ende gekommen, das wusste keiner besser als Arnold Schönberg, der 1899 auf ein Gedicht von Richard Dehmel (sagenhafter Kitsch übrigens) die Verklärte Nacht op. 4 schrieb, in der Streichsextett-Fassung eine Intim-Variante der Gattung „Symphonische Dichtung“. Der Erfolg führte dazu, dass Schönberg selbst es zwei Mal, einmal 1917 und dann 1943, im Exil in Los Angeles, für Streichorchester setzte. In dieser letztgültigen, üppigsten Version hat es die Camerata Salzburg gespielt, hat es Giovanni Guzzo vom Konzertmeisterpult aus mit Sinn für die opulente große Geste, aber eben auch mit viel Augenmerk auf das vom scheinbar unumstößlichen harmonischen Regelwerk weg Weisende umgesetzt. Da kamen also beide Gruppen im Saal, die Melos-Genießer und die dem Außergewöhnlichen Nachhörenden, gleichermaßen auf ihre Kosten. Mit erprobtem Corpsgeist und viel Delikatesse (die beiden Bratschengruppen seien besonders hervorgehoben) hat die Camerata das umgesetzt – es war vielleicht eines ihrer besten Konzerte seit längerer Zeit. Schade, dass der ORF (wie schon seit Jahren) sehr geizt mit Festspiel-Mitschnitten. Dieser Abend dereinst in den „Festspiel-Dokumenten“, das bleibt also ein unerfüllbarer Wunschtraum.

Bilder: dpk-krie (1); SF/Marco Borrelli (1)

 

 

 

 

 

 

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