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Briefe eines freien Menschen

FESTSPIELE / NAWALNY-BRIEFE

01/08/24 Alexej Nawalnys Sterbensweg in Selbstzeugnissen. Eine Ikone der Freiheit gegen die Tyrannei. Ein Lebensweg wie eine antike Tragödie in die Unsterblichkeit. Es ist der clowneske, leicht bittere Zugang eines humanen Sarkastikers, der Nawalnys Briefe zum erhellenden Erlebnis voll aufklärerischem Witz macht. Michael Maertens las aus Briefen des großen Widerständigen.

Von Erhard Petzel

Der österreichischen Schauspielerin Katja Kolm stammen Idee, Konzept und Auswahl für diesen Abend mit Texten von Alexej Nawalny zwischen dem Giftanschlag und seiner Ermordung – vom 20. September 2020 bis Februar 2024. Kolm hat die Texte zusammen mit Isolde Schmitt übersetzt und bearbeitet. Michael Maertens las am Mittwoch (31.7.) im Landestheater unter dem Titel Hallo, hier spricht Nawalny. Briefe eines freien Menschen. Die Lesung war dialogisch angelegt, da auch Texte der Ehefrau Julia aufgenommen wurden. Zweimal erfolgt eine Einspielung aus Bachs Kunst der Fuge: In ihrer polyphonen Verschachtelung eine Metapher für die Komplexität geschlossener Systeme, zumal das Thema auch durch die Spiegel-Achsen gedreht und damit grundlegend umgekrempelt ist? Oder eine Parallele der Besessenheit, in der sich Bach bis zum letzten Moment seinem Fugenwerk, Nawalny seinem Widerstand widmet. Die unerschütterliche Liebesbande des Paares ist der gerade Pfad unter den Texten. Verwirrung und Orientierungslosigkeit beim Aufwachen aus dem Koma werden durch sie gelindert, auch wenn sie noch gar nicht erkannt wird. Großer Dank an Deutschland, seine Hilfe und seine warmherzigen Menschen, die so gar nicht den bösen Stereotypen entsprechen (bis auf Pünktlichkeit und Zwang zum Regulieren).

Nach fünf Monaten muss es am 17. Jänner 2022 nachhause gehen, auch wenn klar ist, was folgen wird. Denn die Verfolgung durch das autoritäre Unrechtsregime ist die zweite Konstante. Eros und Thanatos vielleicht, beide sich bedingend und aufschaukelnd im Kampf des Einzelnen gegen das System. Das Gefängnis befinde sich im Kopf. Er hingegen unternehme eine kosmische Reise im Raumschiff nach dem Muster alter Weltraum-Filme, so Nawalny im Text, mit dem einzigen Unterschied, dass er keine Waffen gegen einen Alien-Einfall besitzt.

Es ist dieser clowneske, leicht bittere Zugang eines humanen Sarkastikers, der Nawalnys Briefe zum erhellenden Erlebnis voll aufklärerischem Witz macht. Sein Stil trägt die Botschaften leicht über einen Abend trotz ihrer erdrückenden Inhalte. Er macht sich ungeniert lustig über die Absurdität der Unterdrückungsmaschinerie in den Haftanstalten und dem gesamten Russland Putins. Zum Briefverkehr mit seiner Frau, der auch über den Anwalt nicht immer erfolgreich zugestellt werden kann, werden seine „Letzten Worte“ der zahlreichen Prozesse verlesen, in denen er nach immer gewagteren Vorwürfen immer unverhältnismäßigere Strafbemessungen seitens der Justiz, die schließlich in den Gefängnissen selbst stattfindet, ausfasst. Hier hält er seinen Peinigern den Systemspiegel vor und nennt unerschrocken das Kind beim Namen. Die literarische Qualität ist sogar in der Übersetzung überzeugend und für etliche geflügelte Worte gut.

Schikanen erschüttern seine Gesundheit, nach einem Hungerstreik findet er zum Glück aus der Not. Rituale um Brot oder die gläserne Trennwand im Besuchsraum geben Einblick in die bedürftige Verlassenheit der Unterdrückten. Kleine Alltagssequenzen bis vierteljährliche Besuche gliedern den öden Ablauf. Isolationshaft und verweigerte ärztliche Behandlung werden lebensbedrohlich. Letztlich erliegt er der fortgesetzten unmenschlichen Behandlung in der arktischen Strafkolonie Polarwolf.

Nawalny ärgert sich über das Unverständnis vieler zu seiner Rückkehr. Wer zu seinen Überzeugungen und nicht stehe und Opfer in Kauf nehme, habe keine. Wenn das Publikum im vollen Landetheater zum Schluss aufsteht, ist es auch eine respektvolle Trauergeste im Applaus. Nawalny kann einem schon erbarmen. Aber er ist keinesfalls erbärmlich, so wie sein erbarmungsloses Feindbild Putin. Hängen sich Mächtige das kalkulierte Opfermäntelchen um, ist das zwar oft wirksam, aber lächerlich. Als tückische Hypochonder schlagen und treten sie nach unten. Menschen wie Nawalny werden in die Opferrolle gezwungen, ohne sich darin brechen zu lassen. Sie legen sich mit der Macht an. Auch wenn sie durch diese zerdrückt werden, haben sie sich das Aufrichtigste am Menschen bewahrt: Ihre Würde. Möge Kolms Projekt weiter wachsen und Nawalny zur Ikone gegen die Morbidität des heute grassierenden indolenten Mitläufertums aus der Kraft der Feigheit werden.

Bilder: SFS / Neumayr
 

 

 

 

 

 

 

 

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